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CITY Lights: Wir Monsterkinder

Frank Noack sammelt Tricks gegen Tabus.

Als Vertreter der Kirche vor fast 60 Jahren dazu aufriefen, gegen den Knef-Film „Die Sünderin“ zu demonstrieren, liefen in Kinos Prostituiertenfilme aus Frankreich, Italien und Mexiko, in sogenannten Kulturfilmen konnte man barbusige Eingeborenenfrauen sehen. Die Knef wurde nicht zur Unperson, weil sie im Film auf den Strich gegangen ist, sondern weil sie als Deutsche auf den Strich gegangen ist, noch dazu auf den bundesdeutschen.

Wer ein heikles Thema anpacken will, ist gut beraten, den Film in einer Fantasiewelt anzusiedeln, oder beim Zirkus. Freaks (1932) war der erste Versuch, Menschen zu zeigen, die nicht der Norm entsprechen: Kleinwüchsige, siamesische Zwillinge, Zwitter, Spitzköpfe, Menschen ohne Arme und Beine. Regisseur Tod Browning sicherte sich doppelt ab: durch das Zirkusmilieu und das Genre des Horrorfilms. Das Publikum hasste den Film, der erst im Rahmen der Protestbewegungen der sechziger Jahre Anerkennung fand (Freitag und Sonnabend im Filmkunst 66). Browning war seiner Zeit voraus, da er die Schönen, Kräftigen und Hochgewachsenen als die eigentlichen Monster darstellte – allen voran die Trapezkünstlerin Cleopatra, die den kleinwüchsigen Hans heiratet und vergiftet, um ihn zu beerben. Sie hat nicht mit der Solidarität der Freaks gerechnet. Zuletzt sieht man Cleopatra im Hühnerstall, verstümmelt und vor sich hin gackernd.

Auch ein Distanzierungsmittel ist die Satire. Kurt Hoffmann, der kommerziell erfolgreichste Regisseur der AdenauerÄra, nahm sich Nazi-Mitläufer, Wendehälse und Wirtschaftswunderkarrieristen vor, engagierte den Kabarettisten Günter Neumann für musikalische Einlagen und nannte das Panorama Wir Wunderkinder (Dienstag im Arsenal). Es ist bis heute der einzige deutsche Film, der zugleich in Hollywood und in Moskau ausgezeichnet wurde: mit einem Golden Globe als bester fremdsprachiger Film und einer Goldmedaille bei den Moskauer Filmfestspielen.

Distanz erzeugt auch die Pathologisierung der Hauptfigur. Peter Lorre spielt in seiner einzigen Regiearbeit Der Verlorene (1951) einen Forscher, der während der NS-Zeit seine Verlobte erwürgt und vom Regime gedeckt wird, weil man ihn in der Rüstungsindustrie braucht (Sonnabend und Sonntag im Arsenal). Als der Film herauskam, hatte Fritz Langs „M“ gerade seine Wiederaufführung erlebt, „Der Verlorene“ wurde als müder Abklatsch empfunden. Wahrscheinlich sind ein paar Jahrzehnte Abstand nötig, um das Schwermütige dieses Films würdigen zu können.

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