zum Hauptinhalt

Clooney-Film eröffnet Filmfestspiele in Venedig: Glamour, Coolness und Grandezza

„Die Iden des März“: George Clooney eröffnet die Filmfestspiele in Venedig. Etwas Besseres als eine Eröffnung mit einem Politthriller von und mit Clooney kann einem Festival gar nicht passieren.

Das Loch ist immer noch da. Eine riesige, blickdicht umzäunte Baugrube, dort, wo am Lido di Venezia seit Jahren der neue Palazzo del Cinema entstehen soll. Die Bauarbeiten sind nach wie vor gestoppt. Asbest, heißt die offizielle Lesart, Mafia, raunen die Venezianer.

Vom ersten Stock des Casinò aus ist das Loch dann doch recht hübsch anzusehen. Weiße Plastikplanen verhüllen die Erdhügel, sie blenden in der Sonne, wie eine Installation der Kunstbiennale. Für das 68. Filmfest Venedig, das letzte Jahr des seit 2004 amtierenden Festivalchefs Marco Müller, wurde außerdem der alte Palazzo nebenan renoviert und zum 3D-Kino aufgerüstet. Was der Biennale-Präsident Paolo Barratta als überfällige Besinnung auf die ruhmreiche Geschichte des dienstältesten Filmfests der Welt feiert, während die Traditionalisten über den Sündenfall schimpfen: Popcorn-Spektakeltechnik in die Hallen der Filmkunst!

Aber nun ist George Clooney da, und alles wird gut. Etwas Besseres als eine Eröffnung mit einem Politthriller von und mit Clooney kann einem Festival gar nicht passieren. Glamour, Coolness, Grandezza, Hollywood-Starpower, politisches Bewusstsein: Clooney hat für alle was zu bieten. Der Mann mit Villa am Comer See verkörpert das liberale Amerika genauso wie eine gewisse Italianità, vereint hetero- mit homoerotischem Sexappeal und spielt bei „Die Iden des März“ nicht nur einen demokratischen Präsidentschaftskandidaten, sondern führte auch Regie, hat am Drehbuch mitgeschrieben und koproduziert.

Bei der Pressekonferenz im großen Casinò-Saal liegt ein Hauch von „Ocean’s 11“ in der Luft. Wenige Stunden vor der Gala-Eröffnung des 23 Löwen-Kandidaten umfassenden Wettbewerbs begrüßt Clooney die Presseleute auf italienisch und pariert die Frage nach der Erotik der Macht mit der Sottise, er habe Marisa Tomei, Philip Seymour Hoffman und die anderen Schauspieler problemlos anheuern können, weil er im Besitz kompromittierender Fotos von ihnen sei. Posen und Possen: reichlich albernes Geplänkel an diesem Nachmittag, aber dann gesteht Clooney ganz im Ernst, dass er Beau Willimons Theaterstück „Farragut North“ schon 2007 adaptieren wollte, das Projekt wegen der guten Stimmung im Lande nach der Obama-Wahl aber verschob.

Es geht um Zynismus in der Politik. Vorwahlkampf in Ohio, wer hier gewinnt, der schafft es bis ins Weiße Haus. Der junge Steven (Ryan Gosling) arbeitet für die Wahlkampagne von Mike Morris (Clooney), der für mehr Bürgerrechte und alternative Energien wirbt, sich gegen die Todesstrafe und Irakkriege ausspricht. Ein Obama-Typus, für den der idealistische Steven sich abrackert. Bis er über den pragmatischen Kampagnen-Boss (großartig ausgebufft: Philip Seymour Hoffman) und die Liebelei mit einer Praktikantin die schmutzige Seite der Politik kennenlernt – die Tricks der Konkurrenten, den Machtpoker, die Instrumentalisierung der Medien, den Stimmenkauf, vor allem aber: private Schweinereien.

Ein Film über Männer, über Chefs. Smarte, karrieregeile, undurchschaubare Männer (am undurchdringlichsten: Kandidat Morris alias Clooney). Ob bei den offiziellen Meetings, im TV-Studio oder den Hinterzimmern der Macht, irgendwie herrscht immer Bar-Atmosphäre. Gedämpftes Licht, gedämpfte Stimmen, Ästhetik der Verführung, der Verschwörung. Das mag Clooney, ähnlich hat er schon in „Good Night and Good Luck“ inszeniert, seinem Schwarzweißfilm über die McCarthy-Ära (nur dass da mehr geraucht wurde). Es muss Schauspieler reizen, Politiker zu verkörpern, die unentwegt schauspielern, auch wenn Clooney und Hoffman auf den Unterschied Wert legen, von wegen der Verantwortung und den Konsequenzen des eigenen Jobs.

Karriere oder Gewissen, Steven muss sich entscheiden. Jeder verführt hier jeden, verkauft seine Seele, erpresst und betrügt. Man spricht über Loyalität und Integrität, aber wenn es drauf ankommt, ist jedes Mittel recht, um nach oben zu kommen. Politik ist ein faustischer Pakt, ein mieses Geschäft.

Ein bisschen simpel, die Moral dieser Moritat, zumal Clooney betont, „Die Iden des März“ sei gar kein Film über Politik; unter Brokern oder Anwälten gehe es genauso zu. Immerhin ist er so raffiniert, den Idealismus am Ende im Auge des Betrachters auszumachen. Ist es vielleicht nur das Publikum, das sich Illusionen macht und bis zum Schluss von der naiven Hoffnung nicht ablassen will, Steven werde die Wahrheit über den künftigen Präsidenten doch noch enthüllen, diesen angeblich so aufrechten Demokraten mit der charismatischen Ausstrahlung?

Apropos Machtpoker: Den größeren Applaus im Casinò heimst Philip Seymour Hoffman ein, Clooney steckt es lächelnd weg. Wie das wohl weitergeht? Madonna, Kate Winslet, Jodie Foster und Christoph Waltz sind auch schon da, bis zur Preisverleihung am 10. September werden außerdem Colin Firth, Gwyneth Paltrow, Matt Damon und Al Pacino mit neuen Filmen in Venedig erwartet. Gewinnen wird am Ende nur einer.

Zur Startseite