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Erst schön brav, dann schön durchsetzungsfähig. Fabrikantengattin Suzanne Pujol (Catherine Deneuve).

© Concorde

"Das Schmuckstück": Madame lassen bitten

Frauen in die Chefetage! Catherine Deneuve ist "Das Schmuckstück". François Ozon, der begabteste unter Frankreichs jüngeren Regisseuren, erweist sich erneut als Meister der nadelstichfeinen Ironie und listigen Übertreibung.

Sie joggt im roten Adidas-Anzug durch den Park, mit Lockenwicklern, Trippelschritten und vornehm-flachen Atemzügen. Auf einer Lichtung hält sie inne und notiert kurze Poeme über Mutter Natur, entzückt über Flora und Fauna, auch über die vor ihren Augen kopulierenden Hasen. Mit einem fröhlichen Chanson auf den Lippen räumt sie wenig später die Spülmaschine aus und kredenzt dem Ehemann den Frühstückskaffee, die geblümte Schürze über das Adidas-Outfit gebunden und das Haar bereits bestens frisiert. Überhaupt wechselt sie ständig die Garderobe, tritt in mal spießig gemusterten, mal üppig geblümten Kleidern auf, vor wahlweise fliederfarbenen oder poppig bunten Dekors. Wir schreiben das Jahr 1977.

Catherine Deneuve als Fabrikantengattin Suzanne Pujol ist eine Wucht – und François Ozons jüngste, auf dem Filmfest Venedig uraufgeführte Boulevard-Komödie „Potiche/Das Schmuckstück“ ganz und gar ihr Film. In fast jeder Szene ist sie präsent, gibt sich unentwegt Blößen, ohne sich je zu entblöden, auch nur im Geringsten taktlos zu werden. Hinreißend, wie sie in der Lage ist, auf würdevolle Art würdelose Dinge zu tun und aus dem Rosenkrieg der Geschlechter mühelos als Siegerin hervorzugehen. Die Lockenwickler beim Joggen waren übrigens Deneuves Idee. In den Siebzigern lief eine Fabrikantengattin nun mal nicht mit Stirnband durch den villeneigenen Park, schon gar nicht in einem Kaff wie Saint-Gudule.

Schönheit und Schalk, Chuzpe und Charme: Von all den französischen Diven, von Fanny Ardant bis Juliette Binoche, von Isabelle Huppert bis Jeanne Moreau, kann Catherine Deneuve diese Kombination am besten. Und spätestens seit sie sich in Ozons Kino-Musical „8 Frauen“ (2002) mit Ardant auf dem Fußboden balgte, ist klar: Die Königin der Leinwand versteht reichlich Spaß in eigener Sache.

Suzanne Pujol vergeht das Lachen, als ihr Mann (herrlich miesepetrig: Fabrice Luchini) sie eine „Potiche“ nennt, eine nutzlose Ziervase. Was Monsieur Fabrikdirektor, ein cholerischer Ausbeuter und Sekretärinnen-Vernascher, aber nicht einmal ahnt: Sein Schmuckstück hat es faustdick hinter den Ohren. Man kann es sehen, wenn sie den Puter für die Abendgesellschaft köpft; ihren Mann wird sie bald locker in die Tasche stecken. Kaum dass sein vom Ausbeuten und vom täglichen Amüsierclubbesuch strapaziertes Herz schlapp macht, übernimmt sie die Leitung der Regenschirmfabrik (mit „Die Regenschirme von Cherbourg“ begann 1963 Deneuves Laufbahn), exportiert nach China (Globalisierung!), versöhnt die streikenden Gewerkschafter durch sozialpartnerschaftliche Güte mit dem Willen zur Profitmaximierung und darf endlich auch mal in den Amüsierclub.

Obendrein legt sie strategisches Geschick an den Tag, als sie ihre Jugendliebe zum kommunistischen Bürgermeister auffrischt, der, auch klar, von Deneuves vielfachem Leinwandpartner Gérard Depardieu verkörpert wird. Des Weiteren treibt sie die Emanzipation der Chefsekretärin (Karin Viard) voran, amüsiert sich über das Coming-out und die schrillen SchirmModelle ihres künstlerisch ambitionierten Sohnes, stolpert bei ihrer Blitzkarriere als Boss aber über eine Intrige der erzkonservativen Tochter (Judith Godrèche).

Ein Realitätschock? Muss Suzanne wieder zurück zu Hasen und Herd? Nichts da. Geht sie eben in die Politik und spannt als Mutter der Nation den ganz großen Regenschirm über ihren Landsleuten auf. Die Achtziger stehen vor der Tür? Höchste Zeit für Frauen in Führungspositionen.

François Ozon, der begabteste unter Frankreichs jüngeren Regisseuren, erweist sich nach „8 Frauen“, „Swimming Pool“ oder „Ricky“ erneut als Meister der nadelstichfeinen Ironie und listigen Übertreibung. In „Potiche“, frei nach dem gleichnamigen Theaterstück von 1980, fällt das Farbdesign eine Spur zu gewagt aus, sind Möbel, Kostüme, Schmuck und Frisur etwas zu perfekt aufeinander abgestimmt. Die Rückblenden (Firmengründung des Vaters, junge Ehe, erster Ehebruch) flimmern in nostalgischem Licht, die Sekretärin zieht brav den Ohrclip ab, wenn sie zum Telefonhörer greift, der seinerseits in einem hübschen Schonbezug steckt – und täglich grüßt der Retrolook.

Deneuve und Ozon sind raffiniert genug, um den Spaß auch politisch aufzuladen. Neoliberalismus und Spätkapitalismus, das Ende der Ideologien, Finanzkrise, Solidargemeinschaft, die Frauenfrage, Politiker(innen) als Popstars: All das wird etwa beim Treff zwischen Firmenleitung und Streikführern ad absurdum geführt , wenn Madame Pujol im Hermelinjäckchen angestöckelt kommt – um ihren Sympathien für die proletarische Sache Ausdruck zu verleihen.

Komödie ist eine Frage von Tempo und Timing. Ozon gelingt es, die anfängliche Pointendichte bis zum Schluss durchzuhalten. Catherine Deneuve alias Suzanne Pujol mag zunächst begriffsstutzig erscheinen, aber wenn es drauf ankommt, parliert und pariert sie rasanter als sämtliche Herren der Schöpfung. Sie hat nicht nur das letzte Wort, sie zieht auch am schnellsten. Und feiert ihren finalen Wahlsieg mit einem weiteren fröhlichen Chanson auf den Lippen. Carla Bruni und ihr Sarkozy können einpacken.

Glückliches Frankreich. Wir haben Merkel und Alice Schwarzer, die Grande Nation hat die Deneuve.

Ab Donnerstag in neun Berliner Kinos. Omu: Cinema Paris, Hackesche Höfe

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