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Defa

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Defa: Fantasie und Phantom

Der einzige Goldene Bär für die Defa: "Die Frau und der Fremde" kommt ins Kino – nach 23 Jahren.

Wiederaufführung? Ja und Nein. Wenn sich am Freitag im Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz der Vorhang zu einer um 23 Jahre verspäteten gesamtdeutschen Teampremiere hebt, dann bedeutet das für den alten Osten ein Wiedersehen: Rainer Simons Verfilmung der 1926 erschienenen Leonhard-Frank-Novelle „Karl und Anna“ lief tatsächlich einige Monate in der DDR, bevor er wegen ungeklärter Literaturrechte von den Leinwänden verschwand.

Bezogen auf den alten Westen aber erlebt „Die Frau und der Fremde“ erst jetzt seinen regulären Kinostart – nach einem heute weithin vergessenen Augenblickstriumph. Simons Dreiecksgeschichte um zwei Soldaten des Ersten Weltkriegs, die dieselbe Frau lieben, gewann – zusammen mit David Hares „Wetherby“ – 1985 als einziger Defa-Film überhaupt den Goldenen Bären der Berlinale.

Wie aus doppelter Zeitferne erreicht uns heute dieses eindringliche Kammerspiel: sorgfältig gebautes Kunstwerk aus einem versunkenen Land, das eine Geschichte aus dem sehr frühen vergangenen Jahrhundert erzählt. Zudem versammelt es aus heutiger Sicht seltsam davongebogene Biografien. Regisseur Rainer Simon, einer der Großen der Defa, ist im neuen Deutschland nach 1989 nie heimisch geworden, sondern hat Zuflucht gesucht und gefunden bei den Indios Südamerikas. Seine Hauptdarsteller, die ihre Laufbahn mit „Die Frau und der Fremde“ begannen, sind überwiegend beim Fernsehen untergeschlüpft, in Krimis und in Serien – etwa die damalige Ernst-BuschSchauspielstudentin Kathrin Waligura: Sie wurde später Staffelstabführerin in „Für alle Fälle Stefanie“.

So viel auch schmerzhaft Erzählenswertes, bevor die Entdeckung oder auch die Wiedersehensfeier beginnt. Und die ist anrührend, verletzlich, fulminant, alles in einem. Zuallererst eine doppelte Liebesgeschichte, zart und zurückhaltend in Wörter und ins Bild gesetzt. Auch eine Freundschaftsgeschichte, die mit Identifikation anhebt und in einen Verrat mündet, der dennoch verzeihlich bleibt. Und eine Parabel darauf, dass die Gegenwart die Vergangenheit deshalb besiegt, weil sie Zukunft enthält, so weh das auch all jenen tut, die im Netz dieser Unabweisbarkeit hängen.

Richard (Peter Zimmermann) und Karl (Joachim Lätsch) müssen als Kriegsgefangene irgendwo in der russischen Steppe einen Graben ausheben. Fast manisch beschwört Richard Erinnerungen an seine Frau Anna herauf, nennt die verborgenen Stellen ihrer Muttermale, ahnt das Pfeifen des Gasbrenners in der Wohnküche nach, befeuert und bannt das brennende Vermissen durch die Lust am heraufbeschworenen Detail. Indem Karl, der Unverheiratete, dem Mantra dieser Sehnsuchtsworte lauscht, verliebt er sich in Anna, ein Phantom der Phantasie. Und Richard lässt den Freund gewähren.

Was in eine Anverwandlungsintrige im Stil des durchtriebenen Mr. Ripley münden könnte, geht in „Die Frau und der Fremde“ ganz linear voran. Richard und Karl werden getrennt, Karl flieht aus der Gefangenschaft und geht zu Anna. Keine Sekunde glaubt sie, dass der sich als Richard ausgebende – und auf diesem Vornamen lange erfolglos bestehende – Mann ihr Richard ist; doch langsam lässt sie diesen sanften, vom Sehnen und Begehren gezeichneten Fremden, der so viel von ihr und ihrer Umgebung weiß, in ihr Leben und – über Monate und Jahre – in eine Liebe ein.

Die Tragödie, die sich bei Richards späterer Rückkehr aus dieser Substitution ergibt, erzählt der Film in den ruhigen Bildern Roland Dressels ebenso zurückhaltend, wie er zunächst die Annäherung zwischen Anna und Karl inszeniert. Es ist vor allem Kathrin Waligura, die dem Geschehen unwiderstehlich Halt gibt. Der anfangs sachte flirrenden Theatralik der Szenen zwischen Richard und Karl setzt sie eine eigentümlich strenge Milde entgegen, die sich bald alles unterwirft: streng gegen sich selbst und mild gegen die Welt. Hinzu kommt eine feine Feierlichkeit, die doch immer durch Alltagssprache geerdet bleibt.

Irgendwo zwischen einem gebändigten Tarkowski und einem ebenso gebändigten frühen Werner Herzog bewegen sich die sorgsam gewählten Tableaus dieses zwischen Schwarzweiß und Farbe oszillierenden Films; und wenn seine verbannten Helden von der Flucht gen Westen träumen und der eine den anderen mit dem Satz „Erschossen wirst du!“ in die Wirklichkeit zurückruft, dann ist dieses in vielerlei Hinsicht entrückte Werk für einen Augenblick doch in jenem fernen 1985, ein Jahr vor Gorbatschows Glasnost, vier Jahre vor der neuen Zeit. Um gleich wieder davonzudriften ins Unrückholbare.

Ab Freitag im Babylon Mitte. Freitag, 20 Uhr, Wiederaufführung in Anwesenheit u.a. von Rainer Simon, Kathrin Waligura und Peter Zimmermann.

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