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© Senator Film

Deutscher Filmpreis: Amphibienfilme treten gegen Autorenkino an

Am Freitag wird in Berlin der Deutsche Filmpreis verliehen. Die groß angelegten Filme sind verblüffend klein geraten, und die kleinen dafür durchaus groß.

Kurz und schmerzhaft war das, was Volker Schlöndorff – reichlich prophetisch – vor knapp zwei Jahren zum Thema Amphibienfilme mitzuteilen hatte. In einem Artikel für die „SZ“ zog der Regisseur gegen die wachsende Nötigung zu Felde, aus dem Material von Kinofilmprojekten auch noch einen deutlich längeren TVZweiteiler abzuliefern – und dies ohne ein Mehr an Budget und vor allem an Drehzeit. Statt auf dem festen „erzählerischen Boden“ eines „ausgeklügelten Drehbuchs“ ein klares Kinowerk zu konzipieren, sei man so „zum Schludern gezwungen“. Auch umgekehrt sei die Vorstellung naiv, etwa Fernsehserienmaterial zum Kinofilm umschneiden zu können. „Um zusammenfassen zu können, muss von vornherein anders geschrieben werden, und da fängt die Kunst erst an, an der die meisten scheitern.“

Knapp und schmerzhaft, zumindest für Schlöndorff selber, gestalteten sich damals die unmittelbaren Folgen: Den Job als Regisseur für „Die Päpstin“, ein ebensolches Amphibienprojekt der Constantin, war er umgehend los. Die ästhetischen Auswirkungen der groß angelegten Kreativpanscherei zwischen Kino und Fernsehen allerdings sind inzwischen landauf, landab auf den Leinwänden zu besichtigen.

Geradezu in Serie, von „John Rabe“ bis zum „Baader Meinhof Komplex“, von „Anonyma“ bis zu den „Buddenbrooks“ ergießen sich seit Monaten derlei Bläh-Produktionen ins Kino, bevor sie demnächst als mehr oder minder bräsiges Doppelpack über den kleinen Bildschirm laufen. Und tatsächlich, Schlöndorffs Sorge, die Gier der Kinoproduzenten auf zusätzliche TV-Lizenzerlöse und jene der Fernsehmacher auf die Kino-Subventionen werde bald „wie ein Staubsauger“ alle Fördertöpfe leeren, hat sich zumindest künstlerisch längst bewahrheitet. Seltsam laut und verstaubt wirken viele deutsche Kinofilme neuerdings, und der Horizont scheint sich weiter einzutrüben.

Logisch, dass sich diese Namen nun auch überwiegend auf der Nominierungsliste zum Deutschen Filmpreis breitmachen, der am Freitag in Berlin vergeben wird – schließlich müssen die rund 1000 Mitglieder der Akademie aus dem Material wählen, das nun mal im Kino läuft. Ein Alarmzeichen aber darf man es wohl nennen, dass mit dem für sieben Lolas nominierten „John Rabe“ und dem „Baader Meinhof Komplex“ (vier Nominierungen) zwei Filme mit Budgets von 17 bzw. 20 Millionen Euro an vorderster Front marschieren, die die Nachteile des Amphibienfilms geradezu protzig ausstellen – hier das vollformatig ausgepinselte nationale Heldengemälde um den guten Nazi von Nanking, dort die auf Actionfilmniveau getunten Ballermänner und -frauen der RAF-Fraktion. Merkwürdig einhellig verzichten die Regisseure Florian Gallenberger und Uli Edel auf ein irgend geartetes Konzept für ihre durchaus erzählenswerten Zeitgeschichtsstoffe und bedienen stattdessen bereits in der Kinofassung in platter Chronologie und mit vielen Oberflächenreizen die Bedürfnisse des späteren TV-Publikums: Zuschalten stets erwünscht und, vor allem, leicht gemacht!

Fürs Kino erweist sich der Irrweg, die Fernsehteigware vorab leinwandtauglich zu komprimieren, schon jetzt als fatal. Immerhin: Nicht nur der notorische filmfamiliäre Gemütlichkeitsaufstörer Schlöndorff dürfte sich darüber freuen, dass die Strafe für das so geschmeidig anmutende Doppelspiel die Produzenten bereits an ihrer empfindlichsten, der finanziellen Stelle trifft. Denn nur wenn bald Lehren aus dem strategischen Grundfehler des Amphibienfilmens gezogen werden, dürfte die progressive Paralysierung des deutschen Kinos noch aufzuhalten sein. Der „Baader Meinhof Komplex“ vermochte zwar noch knapp zweieinhalb Millionen Zuschauer zu fesseln, aber in der Branche heißt es überall, dass Produzent und Verleiher Constantin angesichts des medial bestens vorbereiteten Aufregerthemas eher mit der doppelten Zahl gerechnet hatte. Auch die matt geratenen, auf kleineren Lola-Lorbeer hoffenden Constantin-Titel „Effi Briest“ und „Anonyma“ haben die Kassenhoffnungen nicht erfüllt. Am grausamsten aber hat es „John Rabe“ erwischt – mit nur 80 000 Zuschauern in den ersten drei Wochen.

Zu den spannenderen Fragen der Zeremonie, der die Branche mit diesmal eher gemäßigtem Interesse entgegenschreitet, dürfte es daher gehören, wie der eindeutige Favorit der Filmakademie abschneidet. Halten die hier versammelten Schauspieler und Schnittmeister, Szenen- und Kostümbildner zu ihrem Liebling, oder gibt ihnen dieser im deutschen Kino selten so massive Misserfolg einer Mega-Produktion zu denken? Zumal sie selber den beiden Budget-Elefanten „John Rabe“ und „Baader Meinhof Komplex“, neben dem ebenfalls finanziell enttäuschenden Constantin-Produkt „Im Winter ein Jahr“, mit „Chiko“, „Jerichow“ und „Wolke 9“ drei Billigproduktionen als Konkurrenten hinzugesellt haben, die ohne Bombast und Ballast im Kino vergleichsweise entspannt an ihre – bescheideneren – Ziele kommen.

Özgür Yildirim mag mit seinem Debüt, dem Gangsterfilm „Chiko“, im Schatten großer Vorgänger stehen, von Martin Scorsese bis Fatih Akin, aber der 29-jährige Regisseur und Autor peilt mit der anrührenden und letztlich tragischen Geschichte vom deutschtürkischen Ganoven, der am Zwiespalt zwischen Aufstiegshoffnung und Freundschaftspflichten zerbricht, Großes an; eindeutig Größeres jedenfalls als Christian Petzold, der sich in „Jerichow“ an einem emotional gewohnt ausgekühlt dargebotenen Remake des hitzigen Stoffs von Luchino Viscontis „Ossessione“ und Bob Rafelsons „When the Postman Rings Twice“ versuchte. Sein Produzent zeigt sich zwar angesichts von 90 000 Kinozuschauern hoch zufrieden – allerdings droht auch dem technisch virtuosesten Regisseur irgendwann Stagnation, wenn er sich damit begnügt, die solide erwirtschafteten Fördergelder des deutschen Subventionsparadieses bloß zum nächstbesten Film durchzuverwalten.

Nur scheinbar paradox ist also die hübsche Lehre dieses deutschen Kinojahrs: Die groß angelegten Filme sind verblüffend klein geraten, und die kleinen dafür durchaus groß. Am beeindruckendsten hat es dabei, nicht zum ersten Mal, Andreas Dresen getroffen, der sich von Film zu Film selbst überrascht und auch nicht davor zurückscheut, seinem gewogenen Publikum immer wieder etwas zuzumuten. Und, siehe da, es geht mit, weil es sich als mindestens so sehr mitdenkendes wie mitfühlendes Gegenüber ernst genommen sieht und den Willen zum Konzept begreift und anerkennt. Stars braucht es dafür nicht, nur gute Schauspieler, wie in Dresens „Wolke 9“. Und eine Idee. Wie schön, dass schon eine einzige, treffende Idee es auch heute noch im Kino mühelos mit einem ganzen Apparat aufnehmen kann.

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