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In „Das weiße Band“ spielt Burghart Klaußner einen strengen Pfarrer. Bei der Gala freut er sich über seine Lola – und über die seiner ebenfalls ausgezeichneten Filmpartnerin Maria-Victoria Dragus.

© ddp

Deutscher Filmpreis: Die Formel zum Glück

Ein starker, politischer Jahrgang: Zur 60. Verleihung des Deutschen Filmpreises in Berlin. Haneke, Schmid und Aladag sind die Gewinner.

Was führt einen Film zum Erfolg? Ein Professor für Wirtschaftswissenschaften in Münster hat eine Formel entwickelt, nach der sich der Erfolg von Filmen an der Kinokasse berechnen lässt. Da geht es um Marken, Vergleichsfilme, Stars und Sequels. Den Erfolg von „Twilight“, der zweiten Station aus Stephenie Meyers Vampir- Saga, hat er fast korrekt eingeschätzt. Filmqualität ist dabei kein Kriterium.

Bei den Filmen, die am Freitagabend bei der Gala im Berliner Friedrichstadtpalast um die Lolas konkurrierten, gibt es keine solche Vorhersehbarkeit, mit gutem Grund. Allenfalls dass „Das weiße Band“, Michael Hanekes „deutsche Kindergeschichte“, nach der Goldenen Palme in Cannes, dem europäischen Filmpreis und einer Oscar-Nominierung der große Favorit des Abends sein würde, darauf hätte man wetten können. Doch die Konsequenz, mit der dieser Film zehn von seinen 13 Nominierungen einfährt, ist dann doch ein überdeutliches Zeichen. Haneke, der sich gewohnt trocken bedankte, ist offenbar ein großartiger Teamspieler, dem es gelingt, einen Film als Gemeinschaftsanstrengung zu stemmen. Weshalb ihm die Dankbarkeit eines euphorischen Burghart Klaußner, den sein Preis als bester Hauptdarsteller zu gewagten „Du bist die fesche Lola“-Gesängen inspirierte, so gewiss ist wie die aller anderen.

Haneke dankt seinem Kinderensemble, der „Seele des Films“, und einem dieser Kinder, der 15-jährigen Maria-Victoria Dragus, die im Film die älteste Tochter des Pfarrers spielt, gehörten die schönsten, mitreißendsten Szenen der Gala. Schon als sie als Patin der Nebendarsteller-Sektion Rainer Bock, der im Film den Arzt spielt, rühmen soll, rührt sie mit ihrer Mischung aus Aufgeregtheit und Begeisterung alle zu Tränen: „Ich stehe nur hier, weil ich weiß, dass es dich freut“, ist die so entwaffnend demütige wie ehrliche Ansage an den Filmpartner. Als sie selbst dann den Preis für die beste Nebendarstellerin bekommt, ist kein Halten mehr, Tränen bei ihr, Tränen ihrer Mutter, als die Tochter die auf die Bühne springt, atemlos, fassungslos – und doch das schönste Bekenntnis der Branche loslässt: „Michael Haneke hat mir gezeigt, was ich für den Rest meines Lebens machen möchte: Schauspielern“.

So viel jugendliche Freiheit, so viel Glück, und das bei einem Film, der dem Zuschauer so kühn wie konsequent jegliche Auflösung, jegliches Ausruhen in einem wie immer gearteten Happy End verweigert. Gerade in seiner Offenheit lässt „Das weiße Band“ schier unbegrenzt Rückschlüsse auf deutsche Geschichte und deutsche Befindlichkeit zu: Waren zunächst Entwicklungslinien bis in die Zeit des Nationalsozialismus diskutiert worden, verlegte sich der Fokus in den letzten Wochen auf Parallelen zu den Missbrauchsskandalen an Canisius-Kolleg und Odenwaldschule: Haneke erzählt von einer schwarzen Pädagogik, die auf Schweigen und Strafe setzt und Abhängigkeitsverhältnisse benutzt, um Menschen zu verbiegen. „Schläge statt Schutz, Unterdrückung statt Unterstützung, Missbrauch statt Mitgefühl“, formuliert es David Kross, der den Film als Pate ankündigen darf. Nicht unwahrscheinlich, dass die Hellsichtigkeit, mit der der Film diese Mechanismen beschreibt, noch einmal mehr zu seinem Erfolg beigetragen hat.

Es war ein ungewöhnlich starken Jahrgang, der zum 60. Jubiläum des Films zur Wahl stand. Ohne Ausnahme politische Filme, die ihr Anliegen aus dem Privaten heraus entwickeln. Selbst die Geschichte eines jungen Paars im Sommerurlaub macht Maren Ade in „Alle Anderen“ zu einem hellsichtigen Porträt ihrer Generation sowie des immer wieder neu auszuhandelnden Machtverhältnisses zwischen Mann und Frau – und doch war Ade, nach ihrem Berlinale-Doppelsieg vor einem Jahr, diesmal die große Verliererin.

Oder das große Drama über die Gewissensnot einer Anklägerin, die in HansChristian Schmids „Sturm“ den Kampf gegen Bürokratie und Prozessabsprachen am Den Haager Strafgerichtshof aufnimmt. Doch was, wenn so ein Film trotz Staraufgebot, drängendem politischen Anliegen, lobender Kritiken und unzähliger Festivalpreise hatte der Film nur rund 42 000 Zuschauer in die Kinos zieht? Der Regisseur bezeichnet den Film als Herzensangelegenheit, Bewunderer wie Burghart Klaußner rühmen ihn als wichtigsten Film seit Langem. War es zu viel politische Forderung an ein unterhaltungsfreudiges Publikum? Jedenfalls eine bitteres Bilanz. Und das dreifache Lolaglück (Filmpreis in Silber, bester Schnitt, beste Musik) ist da: nicht nur ein Trost. Sondern noch einmal die längst verdiente Anerkennung. Und die Ansage: Solche Filme wollen wir.

Andererseits ist da ein Überraschungserfolg wie Feo Aladags Debüt „Die Fremde“, der mit dem Filmpreis in Bronze und dem Preis für die beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde. 84 000 Zuschauer für einen Debütfilm, der nur relativ kurz in den Kinos läuft – ist das wenig oder viel? Immerhin hat Sibel Kekilli nach vier Jahren Drehpause endlich wieder eine tragende Rolle, und sie spielt sich als junge Türkin, die mit ihrem Freiheitsbedürfnis mit den tradierten Vorstellungen der Elterngeneration in gefährliche Konfrontation gerät, ungeschützt die Seele aus dem Leib. Die Dringlichkeit des Anliegens, für die Schauspielerin wie für die Regisseurin, ist mit Händen zu greifen und trägt auch über Drehbuchschwächen hinweg. Und in einem wunderbar verstolperten, verwirbelten Auftritt bedankt Kekilli sich für den Preis für die beste Hauptdarstellerin und schreit es in den Saal hinaus: „Hallo Produzenten. Ich will arbeiten, ich will drehen. Gebt mir Rollen“.

Dass die Heimatgefühle der in Deutschland aufgewachsene Migrantenkinder, dass die Konflikte, die sich zwischen der weitgehend abgeschotteten Elterngeneration und der assimilierten zweiten Generation entwickeln, mit Aladags „Die Fremde“ und Fatih Akins „Soul Kitchen“ gleich zweimal im Zentrum der Aufmerksamkeit standen, beweist, dass auch die Filmakademie in der Gegenwart angekommen ist. Auch wenn Fatih Akins fröhliche Hamburger Komödie „Soul Kitchen“ um einen glücklosen Restaurantbetreiber im überlangen Winter fast 1,2 Millionen herzwärmesuchende Zuschauer anlockte war dem erfolgsverwöhnten Darling des deutschen Films nach Erfolgen in Venedig und anderswo das Preisglück diesmal nicht beschieden. „Soul Kitchen“ ging leer aus.

Wie überhaupt die Filmakademie, der Hans-Christian Schmid gerade vorgeworfen hat, im Fall Polanski mit einer Stellungnahme zu zögerlich gewesen zu sein, in der Wahl der Filme wie in der Vergabe der Preise selbstverständlich politisch auftritt – und unbestechlich. Kritik am Auswahlverfahren, wie sie der Regisseur Eckhardt Schmidt gerade in einem offenen Brief geäußert hat, ist insofern fehl am Platz. Und der Ehrenpreis für Bernd Eichinger ist in diesem Licht eine verdiente Anerkennung für einen Akademiekämpfer und Gründungsvater. Und der große Außenseiter im deutschen Film, der von sich selbst sagt, er könne jede Emotion berechnen, war angesichts nicht enden wollenden Beifalls für einmal sprachlos.

Wenn angesichts des versammelten Glücks noch ein Wunsch übrig bliebe, dann wäre es der nach einer anlassgemäßeren Moderation. Die penetranten Schwangeren-Witze, mit denen Barbara Schönberger durch den Abend führte, ließen doch einige Mienen im Publikum versteinern. Dass die Preisträger des vergangenen Jahres die Gala des nächsten auszurichten hätten, ist die neu ausgegebene Losung. Dass unter Hanekes Regie ein GalaAbend in Schwarz-Weiß ablaufen würde, ist vielleicht nicht zu erwarten. Doch Klugheit und Stilgefühl sind immer gut.

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