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Dokumentarfilm: Die Mauer fährt

Meist geschieht wenig, aber das sehr. Witzig: James Bennings Doku über US-Güterzüge.

Manche schwelgen in Schaulust. Andere verlassen bald entnervt den Saal. Es sind nicht Sex & Crime, sondern nur ein paar Blicke auf Seen oder Wolkenhimmel, die bei den einen Kinoglück, den anderen erstaunlich heftige Abwehr erregen. Dabei sind die Filme von James Bennings „Kalifornischer Trilogie“ denkbar publikumsfreundlich. Lange Einstellungen. Unbewegte Blicke, die sorgsam gewählte Totalen von Stadt- oder Naturlandschaften kadrieren. Meist geschieht wenig, das aber sehr – etwa ein aufkommendes Lüftchen, das ein Maisfeld in Unruhe bringt.

Auch „RR“ (für Railroad) ist nach diesem Muster gestrickt, nur wird diesmal der filmische Rhythmus durch die Länge der durchs Bild ziehenden Eisenbahnzüge bestimmt. Es sind US-amerikanische Züge, meist Güterwagen, nur selten huscht auch mal ein Express durchs Bild. US-Güterzüge sind lang und auch langsam, Warentransportmonster mit bis zu vier Loks, die die Landschaft als fahrende Mauern durchschneiden.

Während in Europa die Bahn vorbildlichen Öko-Ruf genießt, wählt Benning eine kapitalismus- und industriekritische Lesart, die er mit Tonzitaten etwa aus der Johannes-Apokalypse oder Guthries „This Land Is Your Land“ verdeutlicht. Doch auch ganz ohne Worte reißt die Montage aus Landschaftsidyllen, Waggonketten und Stahlgekreische ein breites Assoziationsspektrum zwischen Pufferküssertum und KZ-Transportwesen auf. Zwei Jahre lang hat der filmische Einzelkämpfer sich quer durch die USA auf die Railroad-Pirsch begeben – und, siehe da, aus dem begrenzten formalen Inventar zaubert er nicht nur echte Spannung, sondern auch einige magische Momente. Und Witz. Silvia Hallensleben

fsk am Oranienplatz

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