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Dokumentarfilm: Dranbleiben. Dableiben

Einer beendet die Hauptschule, einer geht in den Knast: "Friedensschlag", eine Doku über Jugendstraftäter.

Marco soll im Getränkemarkt seine Stelle antreten, acht Stunden Arbeit am Tag. Aber er zögert, weiß nicht recht, hat keinen Bock. „Du hast doch gesagt, du wolltest hier arbeiten, da haben wir dir die Stelle besorgt, und jetzt willst du nicht. Wie stehen wir denn jetzt da?“, verzweifelt der Betreuer. „Warum soll ich für euch etwas tun?“, ist die Antwort.

Josef im Trainingszentrum ist schmal, hübsch, verschlossen, die Ablehnung steht ihm im Gesicht: „Was soll ich hier? Ich hab Untergewicht, ich bin 16 Jahre, 45 Kilo Fett wieg’ ich, und dann soll ich hier Fett verbrennen. Was nützt das?“

Denis rastet sofort aus, ein Kraftpaket: „Mach die Tür auf, ich will hier raus“. Und tritt gegen die verschlossene Tür, wieder und wieder, schlägt um sich. „Wir zeigen dich wegen Sachbeschädigung an, wir rufen den Richter an, du kommst in den Knast“, droht der Betreuer. „Mir egal, macht was ihr wollt“, ist die Reaktion.

Eftal schließlich, der Älteste, der hat am Ende den Hauptschulabschluss geschafft, nachdem er vor der Prüfung am liebsten davongerannt wäre. Zeigt stolz sein Abschlusszeugnis. Und kann sich vor Gericht sogar bei dem Jungen entschuldigen, den er im Suff tätlich angegriffen hat. Der Mutter kommen vor Glück die Tränen. Das Gericht verlässt ein selbstbewusster Junge.

Jugendliche Gewalttäter. Brutale Schläger, die ausrasten, sobald irgendwas schiefläuft, ein schräger Blick kann schon genügen. Coole Kerle, die eine große Klappe haben und doch auf die Frage, was ihre Ziele seien, betreten schweigen. Und verlorene Kinder. Jeder hat seine Geschichte, jeder hat seinen dunklen Punkt. Die Chance, dass sie den Weg in eine Normalität zurückfinden, ist gering. Ihr liebster Ausdruck ist: „Kein Bock“.

Das bayerische Sozialprojekt „Work and Box“ kümmert sich seit 2002 genau um solche jungen Männer zwischen 16 und 21 Jahren, oftmals als letzte Chance, bevor der Knast droht. Ein Jahr lang, mit täglichem Boxtraining, vielen Gesprächen, unendlicher Geduld, und am Ende helfen sie bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Sagenhafte achtzig Prozent Erfolgsquote vermelden sie selbst. Und doch ist jeder einzelne Fall gegen jede Wahrscheinlichkeit gewonnen.

Die Dokumentation „Friedensschlag“ begleitet fünf dieser Jungs über ein Jahr lang. Der argentinische Regisseur Gerardo Milsztein, in Deutschland zumeist als Kameramann arbeitend, beobachtet den Frust, die Ausbruchsversuche, die Sackgassen, aber auch, wie so etwas wie Vertrauen, wie Öffnung entsteht. Die Auseinandersetzungen verlaufen erstaunlich direkt: Probleme mit der Anwesenheit einer Kamera haben die Jungs nicht. Da wirken die Projektbegründer Werner Makella und Rupert Voss gehemmter und in der Auseinandersetzung oft hilflos, und doch geht es nur um eins: Dranbleiben. Dableiben. Erfolg scheint eine Utopie.

Das zu beobachten ist schmerzhaft, weil es so lange dauert, bis ein Gespräch zustande kommt. Immer wieder droht die Situation zu eskalieren, gegen die Wand zu fahren. Und doch ist es gerade das Prinzip solcher Dokumentationen, sei es „Rhythm is it“, „Prinzessinnenbad“ oder gerade „Neukölln Unlimited“, dass allein die Zeit Vertrauen schafft. Der Respekt, den die Jugendlichen einfordern – er wird ihnen von der Kamera geschenkt. Da hätte man die Zwischensequenzen mit auffliegenden Vögeln über Winterfeldern nicht gebraucht – die Härte der Auseinandersetzung ist das Plus des Films.

Das könnte so auch in Berlin-Neukölln passieren, oder in Hamburg-Wilhelmsburg. „Work and Box“ selbst listet die Brennpunkte der Jugendgewalt in Deutschland auf, empfiehlt ihr Modell für deutschlandweite Anwendung. Wie viele von diesen jugendlichen Zeitbomben gibt es – jeden zu erreichen ist eine unendlich langwierige Aufgabe. Doch Wegsperren ist immer der schlechtere Weg.

Irgendwann geht die Gruppe auf Wanderung, durch den tiefen Schnee, auf einen Berg. Einer bleibt zurück: „Kein Bock mehr“. Ein anderer, durchaus das Problemkind der Gruppe, stapft tapfer voraus: „Wir sind doch fast da“, ruft er anfeuernd zurück. Da ist der Gipfel in Wahrheit noch weit, und der Weg unendlich mühsam. Aber die Richtung stimmt.

Delphi, Eiszeit, Kulturbrauerei, Rollberg

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