zum Hauptinhalt
315666_0_acb2bf8e.jpg

© Kai-Uwe Heinrich

Dominik Graf: Die Schundfundgrube

"Schläft ein Lied in allen Dingen": Der Münchner Regisseur Dominik Graf stellt die Filme seines Lebens vor.

Sage mir, was du liebst, und ich sage dir, wer du bist. Wie sich ein Lebensbild aus Filmvorlieben erschließt, hat der Filmkritiker Michael Althen mit seiner Filmautobiographie „Warte, bis es dunkel wird“ gezeigt. Nun gibt er im Alexander Verlag Kritiken und Essays seines Freundes, des Münchner Regisseurs Dominik Graf, heraus – und auch hier entsteht aus einer Ansammlung von Filmtiteln ein persönliches Porträt. Wobei, darauf legt Althen im Vorwort zu Recht wert, sich Grafs Filmvorlieben keineswegs eins zu eins in seinen eigenen Filmen spiegeln und wiederfinden lassen. Sie bilden bloß die Folie, vor der sich Grafs Auseinandersetzung mit Wort und Bild lesen lässt.

Dominik Graf geht gleichsam den umgekehrten Weg seiner Kollegen der Nouvelle Vague: Wo diese aus ihrer Filmkritikertätigkeit zur Regie fanden, schiebt Graf die Auseinandersetzung mit der Filmgeschichte – darunter auch viel Nouvelle Vague – gleichsam der eigenen Regietätigkeit nach. Ja, in besonders produktiven Schreibjahren scheint sich die lustvolle Entdeckung der cineastischen Um- und Nebenwege vor die eigene Regietätigkeit zu schieben. Es ist, als ob man einem Sammler beim Stöbern im digitalen Antiquariat zuschaut. Das kann, für beide Seiten, auch schnell zur Sucht werden.

Wobei Grafs Fokus immer auf dem Abseitigen, dem Missglückten, dem Rohen und Unvollkommenen liegt. Wenn in einem Filmlexikon etwa über Donald Cammells „White of the Eye“ zu lesen ist: „Unmotiviertes, miserabel erzähltes Schundprodukt, das sich in einen wirren Sexkrimi verliert und als blutverschmiertes Horrorstück endet“, wenn Billy Wilders „Private Life of Sherlock Holmes“ in der TV-Zeitschrift als „kommerzieller Misserfolg“ angekündigt wird, ja, immer wenn es gilt, etwas aus dem „Massengrab der großen Flops herauszuholen und auf dem Friedhof der schönsten und mutigsten Filme in allen Ehren beizusetzen“, dann tritt Dominik Graf auf den Plan – in aller Eloquenz.

Denn keineswegs ist es so, wie Graf selbst in einer Anekdote von den Hofer Filmtagen erzählt, wo ihm ein Hofer Lehrer an die Seite trat, und, was er ihm schon immer hatte sagen wollen, schon nach wenigen Worten mitteilen musste, dass er Grafs Artikel immer rhythmisch irgendwie daneben fände, Satzbau, Länge der Sätze, usw. Im Gegenteil: Hier ist ein Regisseur, der mit gleichem Recht Filmkritiker sein könnte, der leidenschaftlich, lebendig, beseelt, oft geradezu verzaubert zu schreiben und mitzureißen vermag. Man lese, wie er Malvina Silberberg, Nebendarstellerin in einem ziemlich unbekannten Melville-Film, über drei Seiten mit einer zärtlichen Liebeserklärung feiert, oder die Musik, die Philipp Sarde zu Claude Sautets „César und Rosalie“ schrieb, mit Romy Schneiders Gesicht in Beziehung setzt.

Natürlich ist Dominik Graf ein Kind seiner Zeit, er leugnet es nicht: New Hollywood, besonders mit seinen Nebenfiguren wie Robert Aldrich oder George Roy Hill, der bewunderte Nicolas Roeg, Jean Eustache, Damiano Damiani, der frühe Wajda, Klaus Lemke, es ist der Filmstoff der 68er. Oft sind es Zufallsfunde, dem Netz entnommen, und oft auch ist es unverstellt eigene Biografie, aus einer Zeit, als München die unangefochtene Filmstadt war und davon träumte, in den hohen Altbauwohnungen Schwabings und im Spätsommerlicht der Leopoldstraße ein Klein-Paris zu sein. Dass aus dieser goldenen Zeit so manche Weggefährten wie die Kameramänner Martin Schäfer und Helge Weindler, der Tonmeister Milan Bor, der Schauspieler Klaus Wennemann inzwischen verstorben sind, grundiert diese Filmautobiographie mit Melancholie. Und erklärt vielleicht auch die Schärfe, mit der Dominik Graf 1968 verteidigt und 1989 verurteilt.

Immer ist es persönliche Erinnerung, die im erneuten DVD-Blick wiedergefunden oder auch korrigiert werden kann. So lädt dieses höchst anregende Buch vor allem zum eigenen Vagabundieren ein. Nach der Lektüre möchte man sich am liebsten für einen Monat mit einem Stapel DVDs aus der Welt verabschieden. Oder für einige Hundert Euro Nachschub im Internet bestellen. Grafs subjektive Liste der „besten DVDs“ gibt es im Anhang praktischerweise gleich dazu.

— Dominik Graf. Schläft ein Lied in

allen Dingen.

Texte zum Film. Hrsg. von Michael Althen,

Alexander Verlag

Berlin, 376 Seiten, 19,90 €

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false