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Binoche

© Prokino

Ensemblefilm: Fünf Mal Leben

Adieu, Pierre: Cédric Klapisch zeigt in "So ist Paris", wie die Stadt auch sein kann.

Der Professor ist, ganz gegen seine sonstige Façon, verwirrt; Konzentrationsschwäche und Sprachblockaden machen ihm zu schaffen. Mehr noch: Er traktiert eine attraktive Studentin mit SMS in einem Idiom, das er für Jugendsprache hält. Kein Wunder, dass darunter gerade die Eloquenz des eitlen Historikers (Fabrice Luchini) leidet, mit der er als TV-Geschichtslehrer sehr viel Geld verdient.

Der Wirkungsort ist Paris, Hauptstadt der Liebenden, der Aufständischen, der Intellektuellen, der Künstler oder der Gourmets, und natürlich aller Franzosen. Wie der Professor an Sprachstörungen leidet, so sind auch die übrigen Figuren dieses charmanten Ensemblefilms in ihren Kernkompetenzen eingeschränkt: Ein Tänzer ist herzkrank, eine Sozialarbeiterin kriegt ihr Leben nicht in den Griff, und ein Supermacho leidet an der Liebe. Leicht derangiert sind diese Menschen, die sich vor dem Hintergrund der Stadt begegnen oder auch nicht, deren Lebenswege sich kreuzen oder gar eine kurze oder längere Zeit parallel laufen.

Aber auch Paris selbst scheint lädiert in Cédric Klapischs neuem Film: Im tristen Winterwetter patschen dick verpackte Passanten durch Schneematsch, kämpfen sich durch Menschenmenge und Verkehrschaos; zu eng scheint der den Reichen wie den Armen gemeinsam zur Verfügung stehende Stadtraum, und dass er ungerecht verteilt ist, schafft atmosphärische Störungen. Das Paris-Bild Klapischs ist nicht verklärend oder bezaubernd, seine weiten Totalen illustrieren weder die städtebaulichen Maximen Baron Haussmanns, noch ergänzen sie die Fotografien eines Henri Cartier-Bresson oder Robert Doisneau; damit enttäuscht Klapisch zwar die Paris-Romantiker, gewinnt einer der meistfotografierten und -gefilmten Städte der Welt jedoch tatsächlich neue Seiten ab. Ans geliebte Klischee erinnert nur noch seine furiose Eröffnungssequenz, in der er heitere, glamouröse, zärtliche Filmmomente aneinandermontiert und mit entsprechender Musik unterlegt hat. Aber, so zeigt Klapisch gleich darauf, das Leben ist anders, sogar und gerade in Paris.

Pierre (Klapischs Lieblingsdarsteller Romain Duris), der herzkranke Tänzer, schaut aus dem Fenster auf die Stadt und wartet auf den Tod; er denkt sich Geschichten über seine Nachbarn aus, in denen er selbst nicht mehr vorkommt. Derweil entwickelt sich in seiner Wohnung ein ihm bisher unbekanntes Familienleben mit seiner Schwester Elise (zurückhaltend: Juliette Binoche) und deren Kindern. Elise, eine allein erziehende Sozialamts-Sachbearbeiterin, zerrissen zwischen Mutterpflichten, fremdem Elend und eigener Überforderung, entdeckt plötzlich die Beziehung zu ihrem Bruder wieder. Als sie gemeinsam Kindheitsfotos betrachten, lösen sich die emotionalen Verhärtungen. Große Gefühle stellen sich bei Klapisch beiläufig ein, während er die kleinen ins Tragische überhöht. So inszeniert er des eitlen Professors alterstypische Schwärmerei für seine kluge Studentin (Mélanie Laurent) als immer irrwitzigere Groteske. Außerdem erfährt man einiges über eine unausstehliche Bäckerin, einen melancholischen Architekten und einen machistischen Fischhändler. Währenddessen bereitet sich ein Bademeister in einem Luxushotel in Kamerun auf seine Reise nach Frankreich vor, wo er eine Hotelbekanntschaft besuchen will.

Während Klapisch mit seinem in Frankreich äußerst erfolgreichen Zweiteiler „L’auberge espagnole“ (2002/2005) das Vertraute im Fremden inszeniert hat, ist er jetzt dem umgekehrten Prinzip gefolgt. Dem Film hat es gutgetan.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmtheater am Friedrichshain, Kulturbrauerei, Yorck, OmU im Cinema Paris und im Hackesche Höfe Filmtheater

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