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Familientragödie: "Die Fremde" auf der Flucht

Aufregendes Kinodebüt: Feo Aladags Familientragödie „Die Fremde“ mit Sibel Kekilli. Die Story erinnert an Hatun Sürücüs Schicksal.

Es ist nicht schwer, sich „Die Fremde“ vom Leib zu halten. Manchmal rascheln die Sätze wie Drehbuchpapier. Manchmal erschöpfen sich Szenen in ihrer narrativen Beweisführungsaufgabe, also ist dieser Kinofilm wohl bloß ein Fernsehding. Dann wieder verlaufen manche Nebenfigurenentwicklungen locker ins Leere – also doch kein Fernsehding. Oder: Das zunächst sparsam gesetzte Klavier beginnt zu knödeln, und gegen Ende wird ein bisschen viel geweint. Okay, abgehakt.

Wer ein bisschen großzügiger sein will, hat es schwerer. Denn ein bisschen Großzügigsein geht bei diesem Film nicht, der ein Aufschrei ist und nichts anderes. Der seine Zuschauer, da mag er noch so streng und sparsam und fernab jeder fernsehdinglichen Zutexterei inszeniert sein, einfach mitreißt. Dabei erzählt „Die Fremde“ bloß eine Kombination von Familiengeschichten, die aus der Zeitung bekannt sind. Der Zuschauer kann die Welt aus Umays Augenwinkeln sehen, deren Schicksal durchaus der 2005 ermordeten jungen Berlinerin Hatun Sürücü nachempfunden ist. Oder sich in die Qual der Brüder, der jüngeren Schwester, der Eltern hineinversetzen und gefangen sein wie alle in einem eisernen Regelsystem. Da draußen ist die Berliner Freiheit, die ferne Galaxie der Mehrheitsgesellschaft. Hier drinnen ist es wie im Knast, nur schlimmer.

Weil es um Elternliebe und Gewalt geht, um Hoffnung und eine unentrinnbare Reihe von Enttäuschungen. Um Zuflucht, vor der Umay gleich wieder Reißaus nehmen muss – die 25-Jährige, die aus der Türkei und der Ehe mit ihrem brutalen Mann zurückflieht mit ihrem fünfjährigen Sohn zu ihren Eltern nach Kreuzberg. Und um die patriarchalisch geprägte Umwelt, die solches Ausreißerinnentum bestraft sehen will, eine Erwartung, die die Familie schließlich erfüllt. Nur dass es ein ganz klein bisschen anders ausgeht als für Hatun Sürücü, die von ihren Brüdern auf offener Straße erschossen wurde, weil sie frei leben wollte wie andere junge Berlinerinnen. Ja, es geht anders aus, anders schlimm.

Sibel Kekilli spielt diese überallfremde, von ihren Eltern verstoßene, ins Frauenhaus weiterfliehende und, als die Brüder ihr dort die Fensterscheiben einwerfen, bei einer Freundin unterschlüpfende junge Frau, die den Schulabschluss nachmacht und studieren und sich neu verlieben will, nichts Böses, wirklich nicht. Aber sie hat den Sohn dem Vater entfremdet, der den Sohn zurückfordert. Also muss ihr eigener Vater tätig werden, und eine Unausweichlichkeit kommt in Gang, die an griechische Tragödien erinnert. Nur: Wo wäre hier ein Gott, der sich angesichts solch zappelnder Menschlein ins Fäustchen lacht? Eine türkische Tragödie also wie viele – in der Türkei, in Deutschland. Nicht immer gehen sie so blutig aus wie hier, nicht immer wagen Frauen, die sich wehren, so viel Freiheit.

Der Film, sagen manche, bedient bloß Klischees, die den gebildeten Kinogänger noch weiter von der türkischen Minderheitsgesellschaft entfremden. Was aber, wenn diese Klischees in Gerichtsberichten stehen? Der Film will alle zum Zusammenstehen auffordern, sagt dagegen Regisseurin Feo Aladag. Was aber, wenn die wütende Hoffnungslosigkeit der Heldin die offenbar ausweglose Jahrtausendferne der beiden großen in Deutschland aneinander vorbeilebenden Kulturen schmerzhaft deutlicher zeigt, als es Aladags gute Absicht war? Vielleicht hat der Film da ein Problem. Vielleicht aber hat die Gesellschaft, von der er erzählt, genau da ein Problem – und gerade das macht ihn so stark?

Der Rest ist Arbeit. Großartige Schauspielerarbeit, allen voran von Derya Alabora und Settar Tanriögen, die Umays Eltern spielen. Von der in nahezu jeder Szene präsenten Sibel Kekilli, die sich in einer umwerfenden Tochterklage, die allein den Film wert ist, Rotz und Wasser heulend verausgabt. Alles das in den hinreißend komponierten Bildern von Judith Kaufmann, die schon „Vier Minuten“ fotografierte. Und dann ist, wofür Florian Lukas an der Seite von Sibel Kekilli wunderbar souverän wenig zu tun scheint, mitten in allem Familienhorror eine Liebesgeschichte anzustaunen, wie sie so minimalistisch und schön nur alle paar Jahre im Kino vorbeiweht. Was für ein Gegenstück zu Fatih Akins wildem Paar in „Gegen die Wand“ – wie überhaupt alles ganz anders ist als in Akins großem Film von 2004. Aufregend anders. Aber genauso aufregend.

Cinemaxx Filmkunst 66, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Passage

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