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Moskau

© 20th Century Fox

Fantasy: Das Plattenbau-Massaker

Ein schaurig-schräger Ostblockbuster: Timur Bekmambetows russischer Fantasyfilm „Wächter des Tages“ zeigt Moskau als ein Trümmerfeld aus zerlöcherten Plattenbauteilen.

Viele haben sich die Zähne ausgebissen an dieser Stadt, kleingekriegt hat sie keiner. Peter der Große nicht, der Moskau den Hauptstadtstatus entzog, um Russland an den Ufern der Newa neu zu erfinden– umsonst: Moskau holte sich zurück, was Moskau gebührte. Stalin nicht, der die Sache systematischer anging, der die Stadt in ihre Einzelteile zerlegte, ihr Antlitz zerfurchte, ihren Körper zerhackte – umsonst: Moskau schluckte die Verstümmelungen und verwandelte sie in bizarre Schönheit. Juri Luschkow schließlich, der gegenwärtige Bürgermeister, macht aus seiner städteplanerischen Zerstörungslust keinen Hehl, doch auch seine wütenden Attacken werden Moskaus grandios-grotesker Stadtoberfläche letztlich wenig anhaben können.

Wo Herrscher scheitern, müssen Künstler ran. So ähnlich muss sich das Timur Bekmambetow gesagt haben, als er das Drehbuch zu „Wächter des Tages“ entwarf, dem zweiten Teil einer russischen Fantasy-Trilogie, deren Eröffnungsfilm „Wächter der Nacht“ in Russland vor vier Jahren sämtliche Kassenrekorde brach und später auch ins westliche Ausland exportiert wurde. War der erste Film so etwas wie eine visuelle Liebeserklärung an Russlands Hauptstadt, so liefert Bekmambetow nun das ästhetische Komplementär: Am Ende von „Wächter des Tages“ ist von Moskau nichts übrig als ein Trümmerfeld aus zerlöcherten Plattenbauteilen. Vorausgegangen ist diesen Bildern vollendeter Zerstörung ein gut viertelstündiges Massaker, in dessen Verlauf Geschwader chinesischer Billig-Christbaumkugeln die komplette Stadt zertrümmern.

Viel Sinn ergibt das nicht, großartig anzuschauen aber ist es allemal. Und was ergibt schon Sinn in diesem fremden Land? Wo man auch hinsieht: undurchschaubare Machtkämpfe mit unklaren Frontlinien, unnahbare Machtmenschen mit unmöglichen Sonnenbrillen. Selbst die Russen durchschauen die Ränkespiele ihrer Herrscher nur mit Mühe, und vielleicht glauben sie deshalb so gerne an die Lesart, die ihnen Bekmambetows düstere Ostblockbuster anbieten: Moskau ist hier der Schauplatz eines ewigen Ringens zwischen den Mächten des Lichtes und der Finsternis, in dem Menschen nur unbedeutende Randfiguren sind.

Auch im zweiten Teil ringt Filmheld Anton Gorodezkij im Dienste des Lichts um seinen verlorenen Sohn Jegor, der einer alten Prophezeihung zufolge den vor Jahrtausenden geschlossenen Waffenstillstand zwischen beiden Parteien ins Wanken bringen könnte. Dreh- und Angelpunkt des verschlungenen Plots ist die „Kreide des Schicksals“, ein weißer Schreibstummel, der ständig in die falschen Hände gerät. Klingt bescheuert? Tatsächlich sollte man nicht allzu viel Aufmerksamkeit an die Handlungsführung dieses Films verschwenden – und sich stattdessen rückhaltlos der visuellen Achterbahnfahrt überlassen, mit der Bekmambetow seine Zuschauer durch Moskau jagt. Von amerikanischen Genre-Filmen ähnlicher Machart unterscheidet „Wächter des Tages“ nämlich in erster Linie, dass Bekmambetow seine Schreckenswelt so radikal russisch gestaltet. Weltverschwörungen werden in verwanzten Wohnküchen ausgeheckt, mythische Schlachten auf den Dächern monströser Sowjetpaläste ausgetragen – und auch der Untergang Moskaus ist mit abgöttischer Liebe zum Plattenbaudetail inszeniert.

Schönster Spezialeffekt des Films: Irgendwo in dieser ganzen popcornkompatiblen Materialschlacht befällt den Betrachter plötzlich das Gefühl, dass die Russen so ganz anders wohl doch nicht ticken können. Russland, fremdes Land? Erst verfremdet wird’s vertraut.

In 15 Berliner Kinos

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