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Kino: Feindesland, Freundchen!

Der ultimativ wilde Berlinfilm: „Schwarze Schafe“

München muss jetzt richtig tapfer sein. Denn wenn Milan Peschel mit seiner Kodderschnauze so richtig loslegt, dann wächst im Englischen Garten kein Gras mehr. Gerade hat er, als sturzbesoffener Babyleichenmaler namens Peter, den Spreekahn geentert, auf dem seine Freundin Charlotte (Jule Böwe) als Stadtbilderklärerin Dienst tut, da ist ein Münchner Pärchen dran. Nicht nur, dass es Rotkäppchen-Plörre kriegt, wo es doch Champagner bestellt hat, nein, jetzt hat auch noch Peter die beiden entdeckt. „Hier ist Feindesland!“, pöbelt er, „hier bist du tot,Alter!“ Worauf er sich im hohen Bogen eines beträchtlichen Überschusses an Gerb-, Schwefel- sowie Magensäure entledigt – direkt auf die schicken Münchner, versteht sich.

Unappetitlich? Nun, man sollte ordentlich gegessen haben vor der Besichtigung von „Schwarze Schafe“ oder vielleicht auch besser nichts gegessen haben, je nach Konstitution. Denn an köstlichen und weniger köstlichen Geschmacklosigkeiten wird nicht gespart in dem Film des kultivierten Schweizers Oliver Rihs, für den fünf kultivierte Schweizer fünf subsubsubkulturelle Episoden geschrieben haben. Insofern ist der Hinweis des Regisseurs, „fairerweise“ habe man dem Zuschauer „eine gewisse Distanz zum Erzählten geben“ wollen, wörtlich zu verstehen. Die meisten Körperflüssigkeiten sehen in Schwarzweiß einfach besser aus.

Neben dem Pärchen Peschel/Böwe treten weitere Berliner Loser-Paare und ein Trio auf, die es ebenfalls mehr oder weniger in sich haben. Marc Hosemann gibt ein ehemaliges „Hand-Model“ (für Rolex-Uhren), das sich nach einer kurios furiosen Liebesnacht mit einer Vogue-Managerin zwecks Abschöpfung der Versicherungsprämie von Kumpel Bruno Cathomas die Hand abhacken lassen will. Kirk Kirchberger und Daniel Zillmann setzten sich als Satanisten über die an sich zauberhafte Dialogzeile „Spinnst du? Meine Oma ist im Koma!“ im Ergebnis segensreich hinweg. Robert Stadlober und Tom Schilling quatschen sich, in jeder Hinsicht chronisch minderbeschäftigt, das Hirn aus der Schale, und drei JungMigranten, angeführt von Oktay Özdemir, suchen mit zwechfellerschütternder Erfolglosigkeit den ebenso sofortigen wie ultimativen Fick.

Entscheidend aber ist, was hinten rauskommt, wissen wir seit Kanzler Kohl – und so gerät der Film, den Oliver Rihs und sein Mitproduzent, Mitautor und Kameramann Oliver Kolb als Liebeserklärung an diese Stadt verstanden wissen wollen, zwischen Marriott und Müggelsee zur imponierend dahinschlingernden Berlin-Ballade, mal brüllkomisch, mal saudoof. Gedreht wurde ohne Gagen und sehr absichtsvoll ohne jedes Fördergeld und mit DV-Handkamera, und das ist „Schwarze Schafe“ in jeder Einstellung anzusehen. Kompromisse wurden nicht gemacht, alles dient dem sardonischen Vergnügen, den unverwechselbaren Berliner Lebensschmodder radikal nach außen zu kehren. Motto: Die Zombies, das sind die anderen – die Münchner etwa, die immer „okay super ciao“ sagen.

"Schwarze Schafe" huldigt den Hartz-IV-Verlierern so ruppig und immer wieder verblüffend authentisch, dass Bernd Böhlichs in ähnlichem Biotop siedelnde Sozialstudie „Du bist nicht allein“, auch gerade im Kino, dagegen spießig und sogar verlogen aussieht. Eher polieren Rihs und Kolb jenen gemütlich dahingereiften Undergroundsound energisch auf (oder ab!), der die Lother-Lambert-Filme auszeichnet – mal schwul, mal sado-maso, mal beides, mal auch ultraheteroerhitzt. Und irgendwann in dieser Schwarzweiß-Orgie gibt es eine Szene, die auch ein Jim Jarmusch noch für „Stranger than Hell“ verwenden könnte.

Aber einkreisen diese „Schwarzen Schafe“, auch noch mit Kino-Assoziationen? Da steht man als Schäfer ohne, sagen wir, mindestens fünf Schweizer Bernhardiner schnell sehr einsam da. Der einzige Hund im Film ist übrigens ein Mops, und das ist gut so.

Ab Donnerstag im Delphi, International und Yorck. Mehr unter: www.tagesspiegel.de/medien/home.

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