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Film Festival: Fatih Akins "Soul Kitchen" in Venedig

Es bleibt in der Filmfamilie: Holzhämmer, Knochenbrecher: Leise Töne sind Fatih Akins Sache nicht, auch wenn es zarte Liebesszenen gibt in „Soul Kitchen“, Sehnsuchtsmomente, Romantik durchaus, bei den Enten an der Alster und über den Dächern der Speicherstadt. Es ist durchaus eine große Zärtlichkeit, die den in Hamburg aufgewachsenen Regisseur treibt.

Rückenprobleme scheinen das große Thema des diesjährigen Filmfests zu sein. Nicolas Cage hatte den Anfang gemacht in Werner Herzogs „Bad Lieutenant“. Adam Bousdoukos steht ihm nicht nach in Fatih Akins Hamburger Heimatkomödie „Soul Kitchen“, dem zweiten deutschen Beitrag im Wettbewerb, der am Lido mit begeistertem Beifall aufgenommen wurde. Bousdoukos spielt Zinos, einen Deutschgriechen und glücklosen Restaurantbesitzer, der sich nach einem Bandscheibenvorfall qualvoll verkrümmt durch den Film schleppt und Schmerzmittel schluckt – bis der türkische Physiotherapeut „Knochenbrecher“ die Sache mit Seil und Holzbrett wieder zurechtrückt.

Holzhämmer, Knochenbrecher: Leise Töne sind Fatih Akins Sache nicht, auch wenn es zarte Liebesszenen gibt in „Soul Kitchen“, Sehnsuchtsmomente, Romantik durchaus, bei den Enten an der Alster und über den Dächern der Speicherstadt. Es ist eine große Zärtlichkeit, die den in Hamburg aufgewachsenen Regisseur treibt: Er sei seiner Heimatstadt noch einen Film schuldig gewesen, erklärt Akin, und es ist, bei allen komödiantischen Anteilen, ein leicht melancholischer Abschiedsblick geworden. Für den Dreh habe er bewusst Orte gewählt, die es nicht mehr lange geben wird: das Mandarin-Casino, ehemals Mojo-Club, an der Reeperbahn, die Astrastube an der Sternbrücke, oder einen Club in der Karstadt-Filiale, in der Akin einst seine erste Platte gekauft hat. Ein Heimatfilm der neuen Art. Es ist ein Kiezfilm geworden.

Mit einem Schlag landet man auf einem anderen Stern – vom Lido aus betrachtet, der zuletzt heimgesucht wurde von Sternchen wie Paris Hilton, dem durch seine Berlusconi-Affäre bekannt gewordenen Escort- Girl Patrizia d’Addario sowie der 18-jährige Noemi Letizia, auf deren Geburtstagsfeier der italienische Ministerpräsident erschienen war. In Hamburg-Wilhelmsburg, Arbeiterviertel mit Kult-Potenzial, ist die Straße zu Ende, wenn man den überwucherten Schienen folgt. Und in einem der heruntergekommenen Lockschuppen betreibt Zinos sein Restaurant „Soul Kitchen“: mit vierzig Gerichten auf der Karte, einem treuen Stammpublikum und viel guter Musik. Hamburg sei wahrscheinlich die Stadt, in der man außerhalb der USA die beste Soul-Musik hören kann, schwärmt Hobby-DJ Akin über einem Teller Pommes im Exzelsior, und hat jeden Darsteller seinen liebsten Soulsong wählen lassen. Herausgekommen ist ein fulminanter Soundtrack, der seine ironische Krönung in Hans Albers’ „Das letzte Hemd“ findet.

Es ist ein Familientreffen, alle hat Akin um sich versammelt, mit denen er in den vergangenen Jahren gedreht hat. Sein Kumpel Adam Bousdoukos war schon 1995 im Kurzfilm „Sensin – du bist es!“ dabei und hat in „Kurz und schmerzlos“ mitgespielt – seine inzwischen geschlossene Taverne in Ottensen war Vorbild für „Soul Kitchen“ und die Figur Zinos, langhaarig, laut und herzensgut, kann durchaus als Akins Alter Ego durchgehen. Moritz Bleibtreu, der wunderbar exaltiert Zinos’ kleptomanischen Bruder spielt, war Hauptdarsteller in „Im Juli“ und „Solino“. Die Rolle des cholerischen Sternekochs Shayn, der ein perfekter Messerwerfer ist und aus Fischstäbchen, Rahmspinat und Pommes Frittes ein 48-Euro-Gericht zaubern kann, wird von Birol Ünel übernommen, der in „Gegen die Wand“ seinen Durchbruch erlebte. Und Monica Bleibtreu hat ihren letzten großen Auftritt, als Großmutter familias, die auch im Edelrestaurant „Le Canard“ mit einem Schlag auf den Tisch für Ruhe sorgt: „Jetzt wird gegessen“. Ihr ist der Film gewidmet.

Akin, der noch bei seinen ersten Filmen mit Fragen kämpfen musste, ob er nun Türke oder Deutscher sei, ist endgültig angekommen in einer Heimat, die sich durch Freunde und Locations, nicht durch Nationalitätsfragen definiert. Ähnlich wie der in Köln aufgewachsene Ali Samadi Ahadi, der in diesem Sommer mit „Salami Aleikum“ einen Überraschungshit landete, herrscht ein bunter, erzählfreudiger Ton vor, der vor lauter Gags und Ideen kein Ende finden kann, locker, lustig und doch längst nicht so schräg und schwarz, wie er sein will. Wohnungen gehen in Flammen auf, ganze Abendgesellschaften geben sich unter Einfluss von Aphrodisiaka dem kollektiven Rausch hin, das Wilhelmsburger Stammpublikum entdeckt widerwillig sein Interesse für die Haute Cuisine, Finanzamt, Polizei und Immobilienhaie werden mit Witz überwältigt, die wahren Helden sind Knackis, Musiker, Kellnerinnen und ein alter Fischer.

Doch bei allem Gag-Feuerwerk bleibt das Grundgefühl versöhnlich-freundlich, familiär eben. Und das Tempo, die Lautstärke, das Großauftrumpfen und Starker-Mann-Gehabe wirken inzwischen etwas aufgesetzt, eine Pose, keine Position mehr. „Gegen die Wand“, dieser lange, einsame Lauf einer Deutschtürkin in die Freiheit, war noch voller Wut, voller Verzweiflung, Auflehnung und Gewalttätigkeit. Das pittoreske Restaurant „Soul Kitchen“ und sein kauziges Personal kämpft höchstens gegen die Gentrifizierung, die einsetzt, als der Laden Kult wird und von der Hamburger Szene-Schickeria als Geheimtipp gehandelt wird. Konflikte, wie man sie in Prenzlauer Berg und Friedrichshain genau so kennt. Heimat, das kann langweilig sein.

Christina Tilmann

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