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© Laif

Filmfestival: Die Karawane sieht weiter

Damaskus-Erlebnisse: Das Festival „Meeting Points“ spielt in den Metropolen der arabischen Welt – und in Berlin.

Sanftes Hinübergleiten in eine andere Zeit. Damascus International Airport, gegen drei Uhr morgens, im Nahen Osten ist das keine ungewöhnliche Reisestunde. Allmählich gewinnt der Zeitsprung Konturen: Verblasste Landschaftsfotos, tief hängende Deckenverkleidung aus vergilbtem Plastik, athritische Rolltreppen, als wäre man Anfang der Achtziger in Schönefeld gelandet oder in einer zentralasiatischen Sowjetrepublik. Damals, als die Welt und ihre Konfliktpotenziale noch etwas übersichtlicher aufgeteilt waren, gehörte Syrien zum Einflussbereich Moskaus, und immer noch leben hier einige hunderttausend Russen.

Reibungslose Passkontrolle, wenig Uniformierte, keine Schikanen. Nach offizieller amerikanischer Lesart hat man soeben einen „Schurkenstaat“ betreten. Wobei solche politischen Brandzeichen, das wusste schon T. E. Lawrence im Ersten Weltkrieg, so volatil wie Wanderdünen sind. 1991, im ersten Golfkrieg, stand Syriens Assad-Regime auf der Seite der Koalitionstruppen gegen Saddam Hussein, der davor von den USA als Verbündeter gegen den Iran hofiert wurde. Aber das ist eine andere Geschichte. Und Geschichte ist hier überall, im Nahen Osten hat die Globalisierung die Moderne glatt ausgelassen.

Gegenwart lässt sich schwer greifen in diesem Land, das mit seiner großen, über 5000 Jahre alten Vergangenheit wirbt und sich mit einigem Recht als Wiege der Zivilisation empfiehlt, ähnlich wie der Irak. Die Touristenströme machen um Syrien aus politischen Gründen einen Bogen, man ist im Nationalmuseum von Damaskus, in der Oase Palmyra mit dem umwerfenden Reichtum der levantinischen Altertümer allein und kann in Ruhe über die Ungerechtigkeit nachdenken, dass Diktaturen dem Reisenden ein hohes Maß an persönlicher Sicherheit bieten.

Surreales Syrien. Postsozialistisch-arabischer Personenkult. Die Omnipräsenz des Präsidenten Baschar al-Assad wirkt besonders grell und scharf, wenn die Rufe der Muezzin einsetzen. Sein Portrait klebt an Falafel-Buden und Windschutzscheiben. Kaum ein Bauwerk ohne diesen stechenden Blick. (Die Ähnlichkeit mit Michael Schindhelm, dem Ex-Direktor der Berliner Opernstiftung, jetzt in Dubai, irritiert auf Dauer doch sehr.) Assad jr. mit Sonnenbrille als cooler Militär, im Triumvirat mit seinen Kumpels Achmadinedschad aus Iran und Hisbollah-Boss Nasrallah; als seriöser Geschäftsmann oder treusorgender Patron, umgeben von Kindern, gern auch mit seinem Übervater abgebildet, nach dessen Tod der gelernte Augenarzt im Jahr 2000 die Macht übernahm.

Wo wären die Künstler, die eine andere Ästhetik formulieren oder auch nur anreißen? Zeitgenössische Kunst, das gilt im Grunde für den gesamten arabischen Raum, sieht sich zwischen übermächtigen Kräften eingeklemmt: der staatlichen Zensur und dem panarabischen Fernsehen mit seinen Soaps vor allem ägyptischer Provenienz. Schauspieler in Damaskus, selbst vom Nationaltheater, verdienen sich ihr Geld als Stimmenlieferanten für TV-Kindercomics.

Ein düsteres Bild, mit Lichtstreifen. Dazu gehört das Festival „Meeting Points“, eine europäisch-arabische Koproduktion unterhalb staatlicher Ebenen. Die Initiative hat ihren Sitz in Brüssel beim Young Arabian Theatre Fund. Sie operiert mit Mitteln aus privaten Stiftungen, aber auch von der EU. In diesem Herbst findet das Festival, kuratiert von der Belgierin Frie Leysen, zum fünften Mal statt, in neun Metropolen des arabischen Raums. Teile des Programms wandern nun nach Berlin ins Hebbel am Ufer.

In Beirut und Kairo fasst die multimediale Karawane der „Meeting Points“ Fuß, dort existieren Strukturen für zeitgenössische Kunst und Festivals mit internationalem Anschluss. In Damaskus haben es neue Formen schwer – und sogleich verdunkelt sich der Eindruck wieder.

Damaszener Künstler haben unter dem Motto „Unclassified“ ein Video produziert. Meeting Point ist hier ein zauberisch schöner Innenhof der Altstadt, hinter halb verfallenen Mauern, man bleibt im kleinen Kreis. Der Film zeigt syrische Caféhauskultur als stilles Inferno. Ein junger Mann sitzt am Tisch und würfelt gegen sich selbst. Raucht, trinkt Tee. Schleichend füllen sich Café und Leinwand. Die Männer, nun schon nicht mehr ganz so jung, versinken im Brettspiel,die Aschenbecher quellen über. Die Würfel werden zu Steinen, das Spielbrett zerfällt, so geht das Leben dahin. Der erste Spieler wird herausgetragen, längst hat der Tod am Tisch Platz genommen. Eine geschlossene, moribunde, auf sich selbst zurückgeworfene Männergesellschaft. Wenn dies ein Selbstportrait syrischer Intellektueller sein soll, ist damit viel über das Land gesagt.

Im Centre Culturel Français, einem der Sponsoren der „Meeting Points“, dröhnen martialische Trommeln. Hier läuft eine Video-Installation des Ägypters Wael Shawky. Diesmal springt einen die Gewalt direkt an. Shawky hat mit Kindern in der Wüste jene Militärparade nachgestellt, bei der 1981 der ägyptische Präsident Sadat ermordet wurde; wegen des Friedensabkommens mit Israel galt er bei den Islamisten als Verräter. Mit primitiven Wagen und Spielzeuggewehren marschieren Zehn- bis Zwölfjährige über Schutt und Sand. Der heilige Ernst des Spiels weht durch diese zugleich harmlose wie zunehmend bedrohliche Inkarnation. Diese Kinder laufen mit stolz geschwellter Brust und vollkommen ahnungslos ihrer eigenen Zukunft entgegen, die die Vergangenheit wiederholt: Militarismus, Attentate, Krieg, Hass.

Vor drei Jahren wurde das Opernhaus Damaskus eröffnet, ein imposanter Bau, der an einen Luxushotelkomplex in den Emiraten erinnert, mit einem formidablen Foyer, mehreren Bühnen und einigen tausend Sitzplätzen. Kaum, dass hier einmal eine Vorstellung stattfindet. „Meeting Points“ bringt eine Uraufführung in das Geisterschloss: ein Zweipersonenstück von Amir Reza Koohestani. Mutter und Tochter im Gespräch über Kinder und Nachbarn, Haushalt, den Irakkrieg.

Ein typisches Festivalstück. Handlich, transportabel, kurz; technisch zwischen Performance und Projektion, inhaltlich zwischen Privatsphäre und Politik changierend. Wenn man verstehen will, wie Globalisierung im internationalen Kulturbetrieb funktioniert, gibt „Dry Blood and Fresh Vegetables“ ein ideales Beispiel.

Der Regisseur Amir Reza Koohestani stammt aus Shiraz im Iran, lebt in Manchester, England und tourt mit seiner kleinen Truppe – und finanzieller Unterstützung aus Europa – durch drei arabische und zwei westliche Hauptstädte, Berlin und Brüssel. Man kann es Re-Import nennen, was „Meeting Points“und die Brüsseler Initiative betreiben. Es gibt Künstlern aus dem arabischen Raum Gelegenheit zu reisen, sich auszutauschen, Infrastrukturen aufzubauen und in ihren eigenen Ländern aufzutreten. Ein notwendiges Paradox, weil diese Künstler auf nachhaltige Unterstützung von außen angewiesen sind. Und ein gewaltiges logistisches Unternehmen, schon wegen der Visabeschaffung. Es ist auch qualitativ etwas anderes als der inzwischen ritualisierte Podiumsdiskurs zwischen den Kulturen.

So viele Reisen, an einem Ort. Von Amman nach Damaskus. Von Berlin in den Orient. Von Sofia überallhin. Das ist die Story von „Cargo Sofia“, einer der erfolgreichsten Theaterproduktionen seit Jahren. Sie hat mit ihrem umgebauten Speditions-LKW den Orient erreicht. Es ist das aufwändigste Unternehmen im Netzwerk der „Meeting Points“.

Bei der allerersten Tour, der Urausfahrt, wurden die Zuschauer-Passagiere auf der verglasten Ladefläche in Basel herumgekarrt. Auf Leinwänden laufen Bilder vom Balkan, die beiden bulgarischen Fahrer im Cockpit erzählen über Mikroport vom Leben auf der Straße. „Cargo“ ist ein Hightech-Ausritt auf den asphaltierten Karawanenwegen unserer Zeit.

„Cargo“-Erfinder Stefan Kaegi, Mitglied der Künstlergruppe Rimini Protokoll, hat den Radius der rollenden Roadshow noch einmal erweitert. Die Filmeinspielungen führen nun nach Süden, durch Mazedonien, Griechenland und die Türkei nach Syrien und Jordanien.

Abfahrt in einer gepflegten Wohngegend von Damaskus. Zwei Stunden, siebzig Kilometer durch Vorstädte, die Autobahn hinaus Richtung Wüste. Eine syrische Tankstelle wird in dieser fahrbaren Installation zur „serbischen Grenze“. Auf einem Packhof wird virtuell Obst geladen. Auf einem Zollgelände trifft der „Cargo“Laster mit seiner Theaterfracht auf hunderte trauriger Artgenossen: LKW aus Spanien, Frankreich, Deutschland, die hierher importiert wurden und auf ihren Weiterverkauf warten. Die Trucks sind älteren Baujahrs, sie haben ihre Scheinwerfer gesenkt, bedeckt vom Staub, der aus der Wüste weht.

Stefan Kaegi geht bei „Cargo“ – wie bei seinen anderen Produktionen aus der globalen Arbeitswelt – von einer nicht so einfach zu widerlegenden Annahme aus: Vor der Realität kapitulieren die traditionellen Künste. Realität im 21. Jahrhundert ist aufregender als Fiktion. Im Westen freut man sich über die dramaturgische Abwechslung. Im Orient trifft es mit voller Härte zu: Leben schlägt Kunst.

Rüdiger Schaper

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