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Da wartet er schon, der goldene Löwe.

© dpa

Filmfestival in Venedig: Großes Programm in ramponiertem Ambiente

Unser Filmkritiker Jan Schulz-Ojala freut sich auf die Filmfestspiele in Venedig: Das Wettbewerbsprogramm ist pure Verheißung, der Eröffnungsfilm "Black Swan" verspricht jede Menge Glamour. Und dann gibt es da noch den Prunksaal im still gelegten Spielcasino.

Wo gibt es das schon noch irgendwo auf der Welt, einen solchen Prunksaal für Pressekonferenzen, mindestens 12 Meter hoch, mit wandfüllenden senfgelben Vorhängen vor grüner Tapete, mit einem in allen möglichen Brauntönen marmorierten Fußboden und zehn gewaltigen Kronleuchtern, deren jeweils 30 Lampen aus einem trüben Schlauchgewirr emporwachsen und in total verstaubten Glasschalen ruhen? Und einen ebenso hohen Vorraum, getragen von acht Marmorsäulen und begehbar durch mattgolden eingefasste Glasflügeltüren, dazu repräsentative verspiegelte Nebengelasse, deren Korridorwände mit bordeauxrotem Gardinenstoff verkleidet sind und von denen es zunächst seitwärts abgeht zu den altertümlichsten und zugleich protzigsten Klos der Welt?

Nordkorea könnte der Ort für solch eine maßlose Inszenierung sein – aber dann wäre die hohe, gülden verkleidete Decke des Konferenzsaals wohl kaum mit einer schnöde kapitalistischen Reihe von Kreuz-Pik-Herz-Karo-Symbolen geschmückt. Kein Wunder, denn wir befinden uns im 1938 unter Benito Mussolini erbauten, seit Jahren geschlossenen Spielcasino des Lido von Venedig, das alljährlich zu den Filmfestspielen entmottet wird: ein unendlich vergammeltes Museum faschistischer Architektur, mit ächzenden Riesenfahrstühlen, so düsteren wie weitläufigen Treppenhäusern und – vom dritten und obersten Stock – immerhin großartiger Aussicht aufs Meer. Der Kasten, so alt wie Leni Riefenstahls Olympia-Filme, die hier im siebenten Jahr des urältesten Festivals mit der Goldmedaille für den besten Film ausgezeichnet wurden, ist seit langem eigentlich reif für die Abrissbirne. Wenn man ihn nicht immer noch und immer wieder brauchen würde.

In diesem Jahr steht er – als Pressezentrum des Festivals mit einem der wichtigsten Vorführsäle – fester denn je. Denn auf der riesigen Baugrube für den neuen Festivalpalast, auf die man von den hohen Fenstern des Casinò blickt und für die ein ganzer Park mit 140 Pinien weichen musste, ruht seit Monaten das Geschehen. Irgendwo in den Tiefen eines vielberaunten Tunnelsystems wurde in großen Mengen Asbest gefunden, der nun erst aufwendig beseitigt werden muss. Die ausführende Baufirma hat derweil den Dienst quittiert, hektisch wurde nach Zusatzgeldern für den bereits mit über 100 Millionen Euro veranschlagten Palazzo-Neubau gesucht und die Fertigstellung des gigantischen Vorhabens inzwischen auf „frühestens Ende 2012“ verschoben. Politisch problematischstes Pech: Für die nächstes Jahr anstehenden Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag der nationalen Einheit Italiens, die im neuen Vorzeigebau des italienischen Vorzeigefestivals ihren Höhepunkt finden sollten, kommt der Lido nicht mehr in Frage.

Schon möglich, dass Festivalchef Marco Muller auch angesichts der intern längst ironisch „Ground Zero“ genannten gigantischen Erd-und Schlammwüste vor dem Casinò die Lust verloren hat, seinen Vertrag über das kommende Jahr hinaus zu verlängern. 2011 endet das Dienstverhältnis des 57-Jährigen mit der Biennale – nach dann acht Jahren, ein Stabilitätsrekord in der neueren Geschichte des Festivals. Soeben signalisierte er in der Fachpresse, er wolle in seinen angestammten Job als Produzent zurückkehren. Was ihn nicht daran hindert, in der Zielgeraden seiner Festival-Amtszeit nochmal kräftig zu klotzen, mit reichlich Weltpremieren und in allerlei Reihen dicht bestücktem Programm. Auch wenn er – nicht zuletzt wegen eines leicht auf 12 Millionen Euro reduzierten Etats – die Glamour-Erwartungen demonstrativ dämpft. Seine Devise: „Einfachheit, Genügsamkeit, Nüchternheit“.

So fällt die rauschende Gala nach der Eröffnung am Mittwoch abend aus, für die in den vergangenen Jahren auf dem Strand vor dem Excelsior Hotel stets schicke Riesenpartyzelte aufgebaut worden waren. Ein schlichter Cocktail-Empfang in einem Hotelsaal soll genügen. Dafür ist der Eröffnungsfilm glamourös genug: Marco Müller zeigt das New Yorker Ballerinen-Psychodram „Black Swan“ von Darren Aronofsky, der vor zwei Jahren mit „The Wrestler“ den Goldenen Löwen gewann - und soll dafür sogar George Clooney, dem Mitproduzenten und Hauptdarsteller von „The American“, einen Korb gegeben haben.

„Black Swan“ erzählt die Freundschafts- und Rivalitätsgeschichte zweier Ballerinen, die um den Topjob bei „Schwanensee“ rangeln – und dass Youtube eine heiße Kussszene zwischen den Protagonistinnen Natalie Portman und Mila Kunis von der Seite genommen hat, dürfte dem Hype um den Film gewiss nicht schaden. In weiteren Rollen sind unter anderem Vincent Cassel, Winona Ryder und Barbara Hershey zu sehen, womit zumindest für allerhand Glanz auf dem roten Teppich gesorgt wäre.

Das Wettbewerbsprogramm ist, vor allem im Blick auf die Regie-Namen, pure Verheißung. Sofia Coppola etwa, die einst mit „Lost in Translation“ in einer Nebenreihe am Lido entdeckt wurde, bringt „Somewhere“ mit, eine autobiografisch gefärbte Geschichte aus dem Hollywood-Starmilieu. Abdellatif Kechiche, auch er zuletzt mit „Couscous mit Fisch“ in Venedig gefeiert, zeigt „Vénus noire“ über eine afrikanische Sklavin, die auf den Jahrmärkten des 19. Jahrhunderts in England als „Hottentotten-Venus“ bestaunt wurde. Julian Schnabel, ebenfalls Dauergast in Venedig, ist mit dem sehr persönlichen „Miral“ vertreten – seine Lebensgefährtin Rula Jebreal, die in einem palästinensischen Waisenhaus in Ost-Jerusalem aufwuchs, hat das Drehbuch geschrieben.

Tom Tykwer, einziger Deutscher im Wettbewerb, ist mit seinem ersten deutschsprachigen Film seit „Der Krieger und die Kaiserin“ dabei, der vor zehn Jahren am Lido Premiere hatte. „Drei“ erzählt, mit Sophie Rois, Devid Striesow und Sebastian Schipper in den Hauptrollen, von einem Paar, das sich in denselben Mann verliebt – ein kleiner Film, mit einem runden Zwölftel jener Budgets gemacht, die Tykwer zuletzt bei seinen internationalen Produktionen „Das Parfum“ und „The International“ zur Verfügung standen.

Drei sei „kein Film, den man unbedingt macht, um alle Preise zu gewinnen“, sagte Produzent Stefan Arndt soeben gegenüber dem Branchenmagazin „blickpunkt: film“. Und wenn doch? Die ganz großen Erfolge auf internationalen Festivals fehlen Tykwer noch. Womit wir wieder im alten Spielsaal des Casinò angekommen wären. Der Jury unter dem Großzocker Quentin Tarantino ist schließlich alles zuzutrauen.

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