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Schicksalsgenossen: Der Schriftsteller Faulque (Jean Dujardin, l) und sein personifizierter Krebs (Albert Dupontel) in Betrand Bliers Film "Le bruit des glacons".

© Festival

Filmfestival: Komödienfieber in Venedig

Von Francois Ozon bis Bertrand Blier: Beim Festival in Venedig ist das Komödienfieber ausgebrochen.

Komödien, man weiß es, haben es schwer auf den großen Filmfestivals. Entweder werden sie gar nicht erst eingeladen, oder sie holen keine Preise: Wo die Zukunft der Filmkunst gewogen wird, stehen Lustspiele, obwohl sie in jeder Epoche der Filmgeschichte die Menschen ins Kino treiben, unter Generalverdacht. Zu unterhaltsam, also: zu leichtgewichtig. Ergo: unbedeutend. Wenn aber das Ernste schwächelt – und das tut es gerade beim Filmfest am Lido –, dann geht selbst das hoch seriöse Fachpublikum in Lauerstellung. Und lacht sich bei der erstbesten Gelegenheit scheckig.

Eindeutig unter Niveau amüsieren kann man sich etwa in Carlo Mazzacuratis „La passione“. Darin stolpert der vom Business nahezu ausgemusterte Filmregisseur Gianni Dubois (Silvio Orlando), ein Leidensgenosse von Dani Levys derzeit durchs deutsche Kino geisterndem Alfi Seliger, von Kalamität zu Kalamität. Eigentlich soll er, erster Auftrag seit fünf Jahren, einem hübschen Seriensternchen (Cristiana Capotondi) eine schön sentimentale Hauptrolle schreiben, dann aber muss er, weil arg kurios erpresst, binnen fünf Tagen in einem toskanischen Bergdorf auch noch ein Passionsspiel mit der örtlichen Bevölkerung stemmen. Klar, dass solche Überforderung des leergelaufenen Filmkünstlers in dem transalpinen Oberammergau zu einer Serie höchst rustikaler Komplikationen führt. Immerhin stellt der Held sich dem Schlamassel, anders als sein hysterischer Kumpan in Levys „Das Leben ist zu lang“, mit dauertrauriger Grandezza.

Während sich das italienische Publikum für dieses eindeutig auf den heimischen Markt zugeschnittene Produkt erwartungsgemäß begeisterte, fragt sich der Rest der Filmwelt denn doch, was dieser bloß nette Schenkelklopfer im internationalen Wettbewerb zu suchen hat. Da ist „Potiche“, die turbulente Boulevardkomödie von François Ozon, der wie Woody Allen alljährlich einen neuen Film vorlegt, von ganz anderem Kaliber. Gäbe es einen Goldenen Lustigkeitslöwen am Lido, dann wäre ihm die Trophäe schon jetzt sicher.

Mit „Potiche“ – der Titel meint eine pompöse Nippesfigur ebenso wie, im übertragenen Sinn, die bloße Staffage – knüpft Ozon nach einigen durchwachsenen Arbeiten an die furiose Leichtigkeit von „Acht Frauen“ (2002) an. Nur dass es hier um eine einzige Frau geht: Catherine Deneuve spielt die so dekorativ dahingereifte wie achtlos ausrangierte Gattin eines Kotzbrocken von Regenschirmfabrikanten (Fabrice Luchini), die sich in den späten siebziger Jahren zur spätberufenen Amazone wandelt. Erst ersetzt sie ihren vor lauter Wut auf streikende Arbeiter erkrankten Mann ein paar Monate als Firmenchefin und befriedet die Belegschaft mit Freundlichkeit und Fantasie, dann erobert sie – als Kandidatin der Kommunistischen Partei! – einen Abgeordnetensitz in Paris. Und Catherine Deneuve, zuletzt selber so etwas wie die würdevoll erstarrte Statue des französischen Kinos, spielt das alles, unterstützt von einem famosen Ensemble, mit höchst ansteckendem Vergnügen.

„Potiche“ hat alles, was eine gute Komödie braucht: Tempo, Dialogwitz, Überraschungen und jede Menge Lust an dramaturgischer Übertreibung, in der auch ungemütlichere Wahrheiten erst richtig aufblitzen. Und zugleich setzt der Film mit seinen Autos, Klamotten und Idealen von 1977 auf einen hübsch ironischen Retro-Effekt: Die am Schluss reichlich geknickten Männer, darunter Gérard Depardieu in einer tollen Rolle als Bürgermeister des Fantasiestädtchens Sainte-Gudule, erweisen sich als die Väter jener amazonengeschädigten Jammerlappen, die heute das Kino in aller Welt bevölkern.

Auch Bertrand Bliers berühmter Schriftsteller Charles Faulque (Jean Dujardin) in „Le bruit des glaçons“ strotzt vor Selbstmitleid und Selbsthass: Von Frau und Kind vor Jahren verlassen, lebt er zwar mit einer jungen russischen Geliebten in einem feinen Hügelanwesen mit Pool, schreibt aber längst nichts mehr und säuft wie ein Loch. Dann kriegt er auch noch Krebs – und damit endlich buchstäblich Gesellschaft. Denn die Krankheit in Gestalt einer zynischen Klette von Mensch (Albert Dupontel) klingelt an der Pforte des Schlösschens und weicht ihm fortan nicht mehr von der Seite. Als auch seine zarte Haushälterin Louisa (Anna Alvaro) an Krebs erkrankt, beginnt für das späte Mädchen und den total fertigen Mann ein wilder, letztlich anrührender Kampf um das Leben, bei dem ein bisschen Liebe bekanntlich nicht schaden kann.

Wie die Filme von Mazzacurati und Ozon lebt auch „Le bruit des glaçons“ von der theatralischen Hypothese und dem umso theatralischeren Arrangement. Und dennoch verhandelt Blier seine Themen mit einem ungleich sarkastischeren Ingrimm, der die Pfade der Komödie bald entschieden hinter sich lässt. Bliers makellose Versuchsanordnung ist ein Traktat über den Luxus, das eigene Leben zu hassen – weil sie aber als Farce daherkommt, die sich über das Leben überhaupt lustig macht, schockiert sie eher, als dass sie amüsiert. „Le bruit des glaçons“ massiert nicht bloß die Lach- und Denkmuskeln, sondern tut weh und setzt damit etwas in Gang. Schon streitet man leidenschaftlich über den Film – und was gäbe es Lustigeres auf einem Festival?

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