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Filmfestival Hamburg

© promo

Filmfestival: Liebe und andere Fremdsprachen

Das Filmfest Hamburg beschäftigt sich mit dem schwierigsten aller Themen: Liebe. Kann zweimal Einsamkeit ein bisschen Liebe ergeben?

Man möchte meinen, die Einladung eines Filmes auf ein Festival sei für seine Macher eine Ehre, tatsächlich aber geht es gleich nach der frohen Kunde oft zu wie auf dem Basar. Wobei sich nicht selten der großherzige Gastgeber ruckzuck in einen Bittsteller verwandelt. Selbst die großen Festivalmacher sind nicht davor gefeit, dass ihre Gäste flugs die Hand aufhalten: Danke für die Einladung, aber nur mit Privatjet auf Festivalkosten und Super-Suite im Ritz auch für den Oberbeleuchter! Und überhaupt, wie wär’s mit ein bisschen Extra-Cash obendrauf?

Die Berlinale hat mit klaren Regeln – keine Übernahme der Anreise, festes Kontingent für Hotelnächte auf Gastgeberkosten – allzu dreisten Nebenprofitgelüsten einen Riegel vorgeschoben. Auch Locarno etwa zahlt nicht für die Filme, mit Ausnahme einer Entschädigung für Schweizer Verleiher, wenn 8000 Leute auf der Piazza deren neuesten Film gratis gucken – was in Ordnung geht, schließlich sparen sich die Leute damit den späteren Kinobesuch. Aber was, wenn die Produzenten attraktiver Titel (auf einem überfüllten Weltfahrplan mit über 500 Festivals pro Jahr) ihr Reiseziel cool nach dem fettesten Bakschisch ausrichten – einer zunehmenden Preisverderber-Praxis folgend, die etwa das tapfer dementierende Filmfest Rom ins Gerede gebracht hat?

Das Filmfest Hamburg unter Leitung von Albert Wiederspiel, das alljährlich im Herbst der nicht eben vitalen Kinostadt einige Glanzlichter aufsetzt, gehört mit seinem Budget von knapp einer Million Euro zu den Kleinen der Branche. Doch mit Extra-Geldwünschen der Weltvertriebe hat es genauso zu kämpfen, ähnlich wie etwa die Konkurrenz vom Münchner Filmfest im Sommer. Ein knappes Drittel der 140 eingeladenen Produktionen hätte diesmal teils „unverschämt“ bis zu 1500 Euro für die Festivalpremiere verlangt, sagt Programmchefin Kathrin Kohlstedde. Ergebnis: Meist wurden die Begehrlichkeiten wegverhandelt, zehnmal trennte man sich, und nur für fünf gab’s schließlich – ausnahmsweise – Geld.

Es ist ein Kräftemessen der Kirchenmäuse. Den kleinen Festivals fehlen die entsprechenden Mittel, und die Weltvertriebe versuchen für Produktionen, die in Deutschland kaum eine Verleihchance haben, wenigstens etwas herauszuholen. So werden die Festivals, die Neues auch und gerade fürs Kino entdecken wollen, unmerklich zu geschlossenen Systemen – für Filme, die man anderswo nie zu sehen bekommt. Hamburg setzt auf die Mischung: Glanzvolle Premieren deutscher und europäischer Herbststarts und daneben die afghanische Bodybuilder-Doku, hier der Douglas Sirk-Preis für David Cronenberg und dort das parteikonforme nordkoreanische Schulmädchen-Tagebuch, außerdem allerlei Nebenreihen und ein Fernseh- und ein Kinderfilmfest und, auch das noch, eine Mini-Retro aus Belgien.

Eröffnet wurde mit Eric-Emmanuel Schmitts französisch-belgischem „Odette Toulemonde“, und der kommt immerhin in drei Wochen ins Kino. Der Wohlfühlautor hat – man denke an „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ – bereits Erfahrung mit Filmversionen seiner Bestseller. Diesmal hat er gleich selbst und erstmals Regie geführt bei einer ansatzweise autobiografischen Story. Bei einer Lesung in Rostock, gestand er nach der Premiere, habe ihm ein weiblicher Fan ein Schreiben ausgehändigt, „auf schrecklichem Briefpapier“, aber inhaltlich „so schön“, und da habe er doch gleich ein Vorurteil revidieren müssen.

Sein Film, die visuelle Entsprechung einer Jahresdosis Mon Chéri, treibt die Begegnung zwischen der verwitweten Kosmetikverkäuferin Odette (Catherine Frot) und dem von einem Verriss schwer getroffenen Schönschreiber Balthasar (Albert Dupontel) in die Liebesversuchsanordnung: Können Bewunderung hier und Gleichgültigkeit dort in Liebe umschlagen? Schmitts jubilierende Antwort: Aber ja! Und so sehen wir nach mancherlei länglicher Verwicklung die vom unvermutetsten aller Glücke Getroffenen in den mindestens 23. Himmel schweben. Merke: Auch auf der Mondsichel ist noch immer Platz für uns beide.

Liebesversuchsanordnungen sind ein verborgenes Leitmotiv des heute zu Ende gehenden Festivals – mal unglaubwürdig, mal anrührend, mal überwältigend. In „Blaues Augenlid“ führt der zumindest in Bildsprache und Wortkargheit offenbar an Aki Kaurismäki geschulte Mexikaner Ernesto Contreras zwei junge, aber bereits schwer verschrobene Großstadtsingles als Notpartner einer Gratisreise zusammen. Doch kaum ist die Frage gestellt, ob zweimal Totaleinsamkeit einmal Bisschenliebe ergeben könnte, ist sie auf eine die Lebenserfahrung herausfordernde Weise beantwortet.

Weder Sex noch ein Heiratsantrag sind in der Lage, den beiderseitigen Lebens-Autismus auch nur einen Seelenmillimeter aufzubrechen, und so bleibt dem zunächst stimmig entwickelten und zauberhaft fotografierten Werk nur einer der wohl ratlosesten Nichtschlüsse der Filmgeschichte.

Von Liebe ist in Masahiro Kobayashis „The Rebirth“ erst mal gar nicht die Rede, sondern von Verlust, Schmerz und Schuld. Ein Mädchen hat ein anderes Mädchen getötet, und die Mutter der Mörderin erzwingt, weil sie Vergebung sucht, die Konfrontation mit dem Vater des Opfers: Sie arbeitet in der Kantine des Stahlwerks auf Hokkaido, wohin der gebrochene Mann, gespielt vom Regisseur selbst, sich zurückgezogen hat. Es ist eine stumme, unendlich langsame, von Implosion zu Implosion vorantreibende Annäherung zweier einsamer Menschen. Kann Hass sich in Bedürfnis nach Nähe, vielleicht sogar Liebe wandeln? Inmitten nervenzerrend präzis inszenierter, aufregend minimalistisch variierter Alltagsmonotonie gehört „The Rebirth“ zum Spannungsvollsten, was das Kino in diesem Jahr zu bieten hat.

Das Kino? Nicht das deutsche. Der Film, der dieses Jahr in Locarno den Goldenen Leoparden gewann, hat – wie alle anderen Filme des 53-jährigen japanischen Regisseurs – keinen deutschen Verleih. Aber beim 15. Filmfest Hamburg, und das ist und bleibt das unersetzlich Schöne an Festivals, konnte man ihn sehen.

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