zum Hauptinhalt
Brian Cox spielt einen versoffenen, menschenfeindlichen Barkeeper.

© dpa

Filmkritik "Ein gutes Herz": Das graue Leuchten

In seinem Debüt "Noi Albinoi" versuchte ein junger Isländer, seinem heimatlichen Fjord zu entkommen. "Ein gutes Herz" ist der neue Film von Dagur Kári - eine Außenseiterkomödie über Barkeeper und Winterkinder.

Es wird nie richtig hell in diesem Film des Isländers Dagur Kári. Kein Wunder bei seiner Herkunft. Aber November ist jetzt überall, und seit Wochen gilt Rilkes Satz: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.“ Der junge Obdachlose Lucas (weltwund: Paul Dano) sieht das ein. Noch ein Weihnachten würde er nicht überstehen. Zeit, seinem jungen Verliererleben ein Ende zu setzen; er drückt ein kleines weißes Kätzchen an sich und öffnet sich die Pulsadern. Zur gleichen Zeit hört ein versoffener, menschenfeindlicher Barkeeper (Brian Cox) ein paar Straßen weiter seine Lieblingskassette: „Willkommen in der Welt der Entspannung! Sie fühlen sich ganz eins mit Ihrer Umgebung …“ Kurz darauf fällt er zu Boden. Es ist sein fünfter Herzinfarkt.

So ist Dagur Káris Welt. Seine Filme handeln davon, wie unmöglich es ist, die eigene Welt zu verlassen, gerade in unserem Zeitalter der unbegrenzten Mobilität. In seinem Debüt „Noah, der Albino“ versuchte ein junger Isländer, seinem heimatlichen Fjord zu entkommen, der im Winter vollständig von der Außenwelt abgeschnitten ist. Und Winter ist fast immer. Vielleicht sind Káris Filme nur verschiedene Weisen, die Lichtverhältnisse seiner Kindheit aufzuarbeiten. Denn geboren ist er in Aix-en-Provence. Seine isländischen Eltern hielten es aber für richtig, den Dreijährigen zurück nach Hause zu bringen.

Der Notdienst befördert sowohl Lucas als auch Jacques ins Krankenhaus. Ein Weltenwechsel, also doch. Das Krankenhaus ist für beide die letzte Begegnung mit der Zivilisation. Man legt sogar sie in ein weiches, weißes Bett! Paul Dano gibt seinem wenig weltbegabten Lucas eine große Scheu und Sanftheit. Könnten alle Obdachlosen so sein wie er? Der Zuschauer schämt sich fortan und fragt sich: Wie verhärtet bin ich, um in dieser Welt so gut zu überleben? Plötzlich empfindet man es als einen Makel. Dano kennt seine Lage genau: Wenn es ums Überleben des Stärkeren geht, und darum geht es, räumt er seinen Platz auf dieser Erde besser heute als morgen. Das erklärt er ausgerechnet dem Motivationstrainer, einem Abgesandten aus der Welt des hartwelligen Lichts, der Illusion unendlicher Lösbarkeiten.

Vielleicht fehlt etwas in Káris wunderbar sparsamem, grau in grau leuchtenden Film. Vielleicht wird er eine Spur zu leicht und zu sehr zur Weihnachtsgeschichte. Aber allein für die Art und Weise, wie die Welt der Machbarkeiten und des positiven Denkens hineinscheinen ins Nichtmachbare, lohnt es, „Ein gutes Herz“ zu sehen. Auch weil Kári so zurückhaltend auf die Frage antwortet, warum Psychologen fast immer dümmer sind als ihre Patienten. Der Motivationstrainer: Auch für ihn, sagt Lucas, gäbe es eine Kokosnuss, die warte, von ihm geknackt zu werden, und dann solle er ihr Fleisch mit Freunden teilen.

Der alte trinkende Barkeeper, der es noch schaffte, seine Lieblingskassette zu zerstören, bevor der Herzkrampf ihn zu Boden warf, beschließt indessen, die Nuss Lucas zu knacken. Er braucht einen Nachfolger, Jacques‘ Bar ist Island mit anderen Mitteln, mitten in New York, und Lucas lernt nun alles, was man über eine Bar wissen muss: Weiber müssen draußen bleiben! Sei hart zu den Gästen! Lass‘ niemals neue Gäste rein! …

In sieben Berliner Kinos. OmU: Babylon Kreuzberg, Hackescher Markt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false