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Filmkritik: Im Garten der Eltern

"Das Ende ist mein Anfang" – Jo Baiers Verfilmung der Sterbegespräche Tiziano Terzanis kann das Buch nicht ersetzen.

Vater und Sohn. Ein Gespräch. Der Vater weiß, dass er bald sterben wird. Ein letztes Gespräch also,aber nicht nur eins, sondern viele, ganze Sterbewochen lang, in einem toskanischen Garten. Diese Gespräche füllen ein Buch – und nun auch einen Film: „Das Ende ist mein Anfang.“ Ein Film mit nicht viel mehr darin als Vater und Sohn, die miteinander reden. Das ist schön. Das ist gewagt.

Bruno Ganz spielt den Vater, den Journalisten Tiziano Terzani, den früheren Südostasien-Korrespondenten des „Spiegel“, der überall unter den Ersten war. Im Kambodscha der Roten Khmer, später im sich gerade vorsichtig öffnenden China. Manchmal war er auch unter den Letzten. Denn als Saigon fiel und fast alle Amerikaner und Journalisten schon weg waren, war Tiziano Terzani noch immer da. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der er wohl, als er von seinem Krebs wusste, alles und alle verließ und sich in eine kleine Klause im Himalaya zurückzog. Zuletzt kam er wieder herunter und wollte reden.

Ein schönes Zimmer im Berliner Hotel de Rome. Gedämpfter Luxus. Doch Folco Terzani, seinem Sohn, ist keineswegs gedämpft zumute. Als Elfjähriger ist er im kommunistischen China zur Schule gegangen – eine Idee seines Vaters – und musste dort, wie alle, die Toiletten putzen. Seitdem weiß er um die Relativität der Dinge. Er hat Ähnlichkeit mit Elio Germano, seinem Alter Ego im Film, ihre Gesichter sind verwandt in ihrer offenen Sensibilität. „Ich mag Elio im Film, aber mein Part war noch zurückgenommener, noch stiller.“

Still, er? Er redet über einen Film, der nichts ist als dieses letzte große Gespräch mit seinem Vater, und in jedem Satz, in jedem Kamerablick ist noch ein Dritter anwesend: der Tod. Aber jetzt spricht er und lacht, als sei der Tod nicht der große Fremde mitten unter uns, sondern ein Verbündeter. Sein Vater ist 2004 gestorben. Ja, diese letzten Wochen mit ihm seien sehr schön gewesen. „Er hat mir alles erklärt, und seltsam, ich habe alles verstanden.“

Zwischen den beiden gab es vielleicht noch mehr zu erklären und zu verstehen, als das zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern ohnehin der Fall ist. Eigentlich sollte Folco Mao heißen, aber der Standesbeamte weigerte sich, diesen Namen einzutragen. Auch sollte er keinesfalls in den USA zur Welt kommen, wo sich Tiziano Terzani mit seiner schwangeren Frau gerade aufhielt, sondern auf Kuba. Die Terzanis haben es dann doch nicht bis zur Entbindung nach Havanna geschafft. So ist Folco Terzani, Kind eines italienischen Vaters und einer deutschen Mutter, ein New Yorker geworden. 1969 geboren, noch ein Kind der Revolution gewissermaßen. Doch die 68er hatten es viel leichter. Die mussten nicht im China Deng Xiaopings zur Schule gehen.

All diese Momente kann Jo Baiers Films nur aufleuchten lassen. Den Jahrhunderterfahrungsgehalt des Buches, das zum Bestseller wurde, können sie nicht ersetzen. Kino heißt gewöhnlich, seine Geschichten in Bildern zu erzählen, weniger in Worten. In Folco Terzanis Blick steht: Ich hätte den Baier gleich wieder nach Hause geschickt, hätte er das alles zeigen wollen. Den wundersamen Aufstieg des Florentiner Arbeiterjungen, dessen eigener Vater nie ein Konto besessen hatte – in Bildern. Die Sonntagsausflüge in die Stadt, wo das Kind den Reichen beim Eisessen zuschaute – in Bildern. Den demütigenden Anblick der Eltern in der Pfandleihanstalt – in Bildern.

All das ist nur in den Gesichtern, Worten und Gesten von Vater und Sohn gegenwärtig. Auch die Barbarei des Kommunismus, dessen Traum man verstanden haben muss, um überhaupt etwas zu verstehen. Oder sollte man Jo Baiers Film vorwerfen, dass die Toskana darin zu schön und das Licht zu weich ist? „Wir könnten dich im Garten verbrennen“, sagt der Sohn zum Vater, im Buch und im Film. Hat er das wirklich …? „Aber natürlich“, unterbricht Folco Terzani die vor Pietät zögernde Frage. Seinen Einsiedler-Vater musste er nicht erst von der relativen Heiterkeit und dem, nun ja, Festcharakter eines gelungenen Todes überzeugen, Regisseur und Hauptdarsteller schon.

Als Folco Terzani mit seinem Vater sprach, war er immer gelöst, hatte nie Tränen in den Augen. Als er nun Bruno Ganz und Elio Germano im Garten seiner Eltern zuschaute, war das anders, sagt er. Der authentische Ort erdet den Film. Und macht zugleich fühlbar, welche Gratwanderung er ist.

Capitol, Cinemaxx, Delphi, FT Friedrichshain, Kulturbrauerei, Toni, Yorck

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