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Tänzchen in Ehren. Die wilde Larissa (Jessica Biel) und ihr Schwiegervater (Colin Firth).

© Sony Pictures

Filmkritik: Lovely Larita und die Lady

Zickenkrieg nach Gutsherrinnenart: Stephan Elliotts „Easy Virtue“ ist eine höchst amüsante Komödie. Solch geschliffene Dialoge hat man lange nicht mehr im Kino gehört.

„Er hat doch tatsächlich dieses Flittchen geheiratet“, ruft Mrs. Whittacker (Kristin Scott Thomas) aus. Dass die beherrschte Lady einen solchen Kraftausdruck in den Mund nimmt, kommt einem emotionalen Erdbeben gleich. Nein, die Gutsherrin ist „not amused at all“ über die Blitzhochzeit ihres Sohnes John (Ben Barnes), der an der Côte d’Azur der schönen Larita (Jessica Biel) verfallen ist und sie gleich an Ort und Stelle geehelicht hat.

Larita ist eine Frau ihrer Zeit, der wilden zwanziger Jahre, und hat soeben als Rennfahrerin den Grand Prix von Monaco gewonnen. Sie ist blond, intelligent, abenteuerlustig, Witwe, Amerikanerin, raucht wie ein Schlot und verkörpert folglich alles, was eine Schwiegermutter aus dem englischen Landadel verabscheut. Die Begrüßung fällt entsprechend frostig aus, zumal der Sohn ankündigt, sich mit seiner Angetrauten in London niederzulassen. Denn eigentlich soll er Haus und Hof übernehmen und das ebenso traditionsreiche wie kriselnde Familienunternehmen weiterführen.

Von der ersten Minute an herrscht Krieg zwischen der alten und der neuen Mrs. Whittacker, ein Krieg der verächtlichen Gesten, der tödlichen Blicke und giftigen Verbalattacken. Wie lange hat man solch geschliffene Dialoge nicht mehr im Kino gehört! Jeder Satz ein Projektil, dass sich ins Herz des Gegners zu bohren versucht. Textvorlage ist das Theaterstück „Easy Virtue“, das der bekennende Londoner Lebemann Noel Coward 1924 mit erst 25 Jahren geschrieben hat. Lebte er in unseren Tagen, müsste man unverzüglich Hollywoods gesamte Writer’s Guild zu ihm in die Lehre schicken.

Kaum zu fassen, dass der junge Alfred Hitchcock das Stück 1927 als melodramatischen Stummfilm in Szene gesetzt hat. Noch unglaublicher, dass es über 80 Jahre dauerte, bis der Stoff durch den Australier Stephan Elliott fürs Kino wiederentdeckt wurde. Elliot hatte sich 1994 mit dem Transen-Klassiker „Priscilla – Königin der Wüste“ in die Filmgeschichte eingeschrieben und findet nun nach zwei Flops und einem schweren Skiunfall die Lust am Kino wieder.

„Easy Virtue“ ist weder staubiges Kostümdrama noch angestrengte Modernisierung, sondern geht mit der Vorlage liebevoll, souverän und vor allem sehr filmisch um. Ob jeder Lampenschirm der historischen Prüfung standhält, interessiert hier weniger als die ausgesucht grässlichen Textiltapeten, Teppiche und Sofabezüge, die den Traditionen des alten Geldes Rechnung tragen.

Larita wirkt in diesem familiären Wirtskörper wie ein hochinfektiöses Virus. Während die Mutter ganz Abwehr ist, der Sohn sich dem Liebesfieber ergibt und die beiden biederen Töchter erst fasziniert, dann angewidert auf das Eindringen amerikanischer Moderne und kontinentaler Libertinage in ihren Haushalt reagieren, beobachtet Mr. Whittacker (Colin Firth), der sich als Zyniker längst ins Exil seiner Werkstatt zurückgezogen hat, neugierig den nahenden Kollaps der Familienstrukturen. Firth steigert die Kunst des Understatements zur Meisterschaft, und an Kristin Scott Thomas werden sich alle Hausdrachen der künftigen Filmgeschichte messen lassen müssen.

In elf Berliner Kinos; OV im Cinestar, Sony-Center, OmU im Odeon

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