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Efron

© Salzgeber Film

Filmkritik: Wild bleiben

Doppelwelt: Lucía Puenzo verfilmt mit "Das Fischkind" ihr Romandebüt. Das deftige Drauflos weicht einer komplizierten Dramaturgie.

Zu den Reflexen der Filmkritik – und des belletristisch kundigen Kinopublikums – gehört es, die Qualität von Literaturverfilmungen zu beweinen. Die lebendige, auch visuelle Erinnerung an den Text stößt sich am konservierten Bild, an gedanklichen und narrativen Verkürzungen, an fehlbesetzten Schauspielern – und schon ist man dabei, zu retten, was nicht zu retten ist: die unverwechselbare Komplizenschaft der Fantasie, wie sie sich in der stillen Begegnung zwischen Autor und Leser entzündet.

In der Regel tröstet dann der Verdacht, dass der Regisseur das literarische Werk nicht verstanden hat oder, mildernder Umstand, kommerzielle Kompromisse eingehen musste. Was aber, wenn – und das ist gar nicht so selten – jemand seinen eigenen Roman verfilmt? Angesichts dieser intimen Transposition von Kunstgenre zu Kunstgenre darf das Abenteuer eigentlich nicht missglücken. Wenn derlei Ausflüge doch schiefgehen, wie es etwa Paul Auster („Lulu on the Bridge“) oder zuletzt Michel Houellebecq („Die Möglichkeit einer Insel“) bewiesen haben, greift Trost Nr. 2: Autor, bleib bei deinem Laptop.

Nun hat Lucía Puenzo mit „Das Fischkind“ ihren Erstlingsroman verfilmt, und der Fall liegt noch komplizierter. Denn schlagartig berühmt geworden ist die Argentinierin als Filmemacherin – mit ihrem sensiblen Pubertätsdrama „XXY“ (2007) über die intersexuelle Alex, die gegen alle Hindernisse mit ihrer Doppelgeschlechtlichkeit leben will. Dass Puenzo, geboren 1976 und aufgewachsen im Cineastenmilieu von Buenos Aires (ihr Vater und ihre Brüder sind Regisseure), neben ihrem vielgefeierten Debüt bereits vier Romane vorgelegt hat, ist viel weniger bekannt.

Welch famose Doppelbegabung hier am Werk ist, lässt sich am Beispiel des „Fischkinds“ im Laborversuch bestaunen – und wie sehr die Souveränität im Schreiben und die Souveränität des filmischen Erzählens auseinanderdriften können. Der Roman „Das Fischkind“, das Lucía Puenzo mit 23 schrieb, fünf Jahre vor der Veröffentlichung in der Heimat (die großartige Übersetzung von Rike Bolte ist 2009 bei Wagenbach erschienen), ist pure Wildheit und Kraft, gegossen in Sozialsatire, Liebesgeschichte und Thriller zugleich. Erst die Erzählperspektive aber macht das Buch zu einem hinreißenden Stück Literatur: Der Ich-Erzähler ist ein Hund – ein hässlicher Straßenköter, den die pubertierende und heftig in die nahezu gleichaltrige Haushälterin verliebte Lala zu sich genommen hat.

Eine Oberschichtfamilie jenseits des Nervenzusammenbruchs: Lalas Bruder ein Drogendealer, Lalas Mutter eine esoterische Fremdgängerin, die nach Indien durchbrennt, Lalas Vater ein so eitler wie depressiver wie sexuell verwahrloster Erfolgsschriftsteller, der ersatzweise „die Guayi“ rannimmt – so nennen alle die im Haushalt wohnende Indio-Putzfrau aus Paraguay. Die Guayi wiederum, wie so viele Indiomädchen aus dem ärmeren Nachbarland nach Buenos Aires gekommen, strippt schon mal aus purer Lust und Liebe vor ihrer Geliebten (und vor deren hechelndem Köter), bevor sie „nackt das Zimmer verlässt, ihre Arbeitskleidung in der einen Hand und in der anderen den vollen Müllbeutel“.

So geht das in rasantem Tempo, und plötzlich ist der Vater vergiftet, Lala in Paraguay, wo sie nebenbei dem „Fischkind“-Geheimnis ihrer Geliebten auf die Spur kommt, und die Guayi im Jugendknast. Dass sie da nicht bleiben darf, versteht sich von selbst – und wenn dafür Lala, kahlrasiert, nach Buenos Aires zurückmuss und einen ekligen Wachmann per Blowjob ablenken, um sich dessen Knarre unter den Nagel zu reißen. Dass das turbulente Geschehen immer dicht am Boden der Tatsachen bleibt, dafür sorgt der unsentimentale Blick des allwissenden Hundes. Und sein Riecher für die nächstbeste spektakuläre Aktion, die ihn selber am allerwenigsten schont.

Man möchte meinen: ein gefundenes Fressen für einen aufregenden Kinofilm. Lucía Puenzo aber betreibt die Dekonstruktion und Rekonstruktion ihres eigenen Fantasiematerials so radikal, dass Buch und Film nicht viel mehr als der Titel verbindet. Nicht nur der Hund wird zur – nahezu überflüssigen – Nebenfigur. Auch seine deftige, überwiegend chronologische Draufloserzählung weicht, jeder schönen Drastik entkleidet, einem Schachtelbau aus Rückblenden und zwischen Traum und Realität oszillierenden Bildfindungen. So verliert sich der Film in exakt jenem vagen magischen Realismus, den Puenzo im Roman gerade munter demontiert. Auch das Liebespaar – Inés Efron als Lala und Mariela Vitale – agiert wie weichgezeichnet. Statt der verzweifelt rasierten Glatze regiert die sympathische Kurzhaarfrisur, statt des im grotesken Geschehen oft aufheulenden Elends die dekorative Träne.

Das irritiert und befremdet – und weicht doch dem letztlich faszinierten Respekt für den Versuch, das eigene, so kohärente literarische Debüt noch einmal mit dem filmischen Arbeitsbesteck zu zerlegen. Das Ergebnis ist so massiv verändert geraten, dass der Roman, anders als bei üblichen Literaturverfilmungen, keinerlei Rückkoppelungsschaden nimmt. Ob dies das eigentliche Ziel von Lucía Puenzo war, dieser so schillernd doppeltbegabten Künstlerin?

B-ware Ladenkino, Central, Xenon

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