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Rachel McAdams (Della Frye) and Russell Crowe (Cal McAffrey) in STATE OF PLAY

© promo

Filmstart: Redaktion und Rotation

Hollywood entdeckt die Zeitungskrise: Kevin Macdonalds „State of Play“ versöhnt Print mit Online.

Der Abspann treibt selbst hartgesottenen Zeitungsleuten eine Träne der Rührung und eine des Stolzes in die Augen. Da laufen die Druckmaschinen mit der spät aktualisierten Politskandalgeschichte auf Hochtouren, da führen Kettenlaufbänder die bereits gefalteten Exemplare des „Washington Globe“ in dichter Folge über ihre abenteuerliche Achterbahn, der Maschinenführer fischt ein noch drucknasses Exemplar aus der Transporteursschlange – und dann nichts wie raus mit der Sensation in die Welt!

Und erst der Anfang: Mit Cal McAffrey (Russell Crowe) ist ein Investigativ-Vollblutjournalist am Werk, wie er im Nostalgiebuche steht. Eher fett und mit ewigfettiger Mähne, Junkfoodketten-Stammgast und Fahrer eines uralten Saab, ein Messie, gewiss, ein einsamer Wolf auf Wahrheitssuche – aber so was von clever und cool! Mit zwei Kaffeebechern erscheint er am Tatort, einen für den durstigen Cop, und wohl kaum etwas lässt ein Journalistenherz höher hüpfen als der nun auf eine Recherche-Finte folgende, wunderbar knappe Wortwechsel: „Who told you that?“ - „You just did!“

Geradezu hemmungslos nostalgisch gibt sich Hollywood in Kevin Macdonalds „State of Play – Stand der Dinge“ – doch Vorsicht, wenn Hollywood seinen jeweiligen Gegenstand verklärt, bimmelt dabei meist schon ein Totenglöckchen. Sollte es sich bei der Zeitungsrotation mit ihrem ungeheuren Materialaufwand ebenso um ein Auslaufmodell handeln wie bei der Zeitungsredaktion, mit ihren liebenswerten Reporterwühlmäusen à la Cal McAffrey? Als der auf der gleichnamigen BBC-Miniserie von 2003 basierende Hollywood-Thriller im Frühling 2008 gedreht wurde, gewitterte es jedenfalls bereits massiv nicht nur in den US-Medienhäusern – und seither ist nahezu täglich von Entlassungen, Redaktionszusammenlegungen, erstem Zeitungssterben zu lesen.

Genug Zeit für die Drehbuchautoren, flugs ein paar aktuelle Oneliner einzufügen. „The real story is the sinking of this bloody newspaper“, tobt etwa Chefredakteurin Cameron Lynne (Helen Mirren), als die Boulevard-Konkurrenz namens „New York Post“ dem „Globe“ einen Schmuddelaspekt der großen Story wegschnappt – umso schlimmer, da die neuen „Globe“-Eigentümer zur Stabilisierung der bröckelnden Auflage selber immer mehr auf Sex und Crime setzen. Folglich ist die dem Old-School-Reporter zugeteilte Verstärkung nicht, wie einst bei den legendären „Unbestechlichen“, ein ebenso beinhart an politischen Zusammenhängen interessierter Rechercheur. Sondern mit Della Frye (Rachel McAdams) eine junge, ehrgeizige Bloggerin des Blattes, die gewohnt ist, allerlei Schlüpfriges flugs online zu stellen. Klar, die Kombination führt zu Stress, aber vielleicht könnte in ihr, so insinuiert der Film, auch eine Chance liegen.

Der Skandal, den das ungleiche Team – Bob Woodward & Carla Bernstein – in zwei kurzen Kinostunden aufdeckt, ist kompliziert genug. Level 1: Ein Killer erschießt einen Junkie – und einen Zeugen gleich mit. Level 2: Die junge Assistentin des Kongressabgeordneten Stephen Collins (Ben Affleck) stürzt vor eine U-Bahn: Suizid, Unfall oder Mord? Level 3: Collins, der einem Untersuchungsausschuss vorsitzt, der Unregelmäßigkeiten beim Verteidigungshaushalt aufklären soll, hatte ein Verhältnis mit der jungen Frau. Level 4: Reporter Cal war einst mit Collins’ Ehefrau liiert und pflegt zu dem Politiker nichtsdestotrotz ein restfreundschaftliches Verhältnis. Schließlich könnte ihm die Verbindung, die ihn zwar befangen macht, bei der Wahrheitssuche noch nützlich sein.

Vom Drogenthriller zum Melodram, vom politischen Komplott zur korrumpierenden Bettgeschichte oszilliert die durchaus absichtsvoll unübersichtliche Story, wobei die einzelnen Elemente immer weniger voneinander zu trennen sind. Hier der Großskandal um den mächtigen Sicherheitsdienst Pointcorp, der sich – „Blackwatergate“ lässt grüßen – nach seinen blutigen Irak-Einsätzen anschickt, die privatisierte Homeland Security zu übernehmen; dort sind es die reichlich derangierten Lebensverhältnisse, die auch den hoffnungsfrohsten Jungpolitiker in Bedrängnis bringen.

Das ist, mit immer wieder überraschenden Wendungen, dynamisch, elegant und spannend erzählt. Vor allem aber bewährt sich hier ein ausdrücklich arbeitsteiliges Modell zwischen Print- und Onlinejournalismus, das – zumindest für die Dauer eines Filmtraums – Schule macht. Politischer Schlüsselstoff und privates Schlüsselloch: Im gedruckten „Washington Globe“ stehen die harten Fakten, auf der Website des Blattes gibt’s das aufregend böse Bunte dazu – und der Leser muss sich, um die gesamte Dimension der Story zu begreifen, zwingend in Print und Online schlau machen. Schönheitsfehler der Idee: Ohne Dauernachschub an entsprechend polymorph perversen Skandalen funktioniert sie nicht.

Immerhin: Wunderbar geschmeidig läuft das Zusammenspiel zwischen Russell Crowe und Rachel McAdams, gerade in seiner zunächst demonstrativen Ruppigkeit. Erst lässt Cal, der in seiner zugemüllten Großraum-Koje stolz auf einen 16 Jahre alten Computer einhackt, die offenbar ebenso überfleißige wie oberflächliche Kollegin von der Internetredaktion kühl abblitzen; bald aber lernt er ihre Hartnäckigkeit ebenso zu schätzen, wie sie von ihm lernt, dass sich die Mitführung eines schlichten Kugelschreibers stets empfiehlt – und sei es, um im Leichenschauhaus Telefonnummern vom Handy eines Toten abzukritzeln. Und dass die Beiden einander trotz der Übergabe eines überaus charmanten Kollegengeschenks nicht anderweitig näher kommen: auch nicht verkehrt.

Nur einmal geht die Verklärung der anfassbaren Analogwelt der Zeitung denn doch zu weit. Nirgends auf der Welt säße heute ein Chefredakteur eine halbe Nacht lang neben seinem manisch die Story seines Lebens heruntertippenden Redakteur. Und bei keiner Zeitung der Welt würde selbst wegen eines solchen Artikels vier Stunden lang nachts die Rotation angehalten, ganz einfach, weil die Zeitung dann nicht mehr rechtzeitig ausgeliefert werden könnte. Wer heutzutage – aus welch uraltjournalistisch honorigen Gründen auch immer – so spät „nachschiebt“, wie es im Jargon heißt, tut auch dies, Gott sei''s geklagt oder eben gedankt, ausschließlich online.

Ab Donnerstag in 20 Berliner Kinos; OV Cinestar SonyCenter, OmU im Odeon.

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