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Und tschüss. Ben Affleck als frisch gefeuerter Manager Bobby Walker.

© Centralfilm

Finanzkrisenfilme: Von nun an geht’s bergab

Ein amerikanischer Traum wird zur Kenntlichkeit entstellt. Nach der Finanzkrise: "Company Men" und andere angeschlagene Helden.

Eben hat Bobby (Ben Affleck) noch mit seinen Erfolgen auf dem Golfplatz geprahlt, schon ist es vorbei. Der Executive des Schiffsbau-Multikonzerns GTX wird gefeuert. Der Börsenkurs muss gehalten werden, Downsizing heißt das heute. Hat der Chef auch was über mich gesagt?, wollen die Sekretärin und der Kollege wissen. Schöne kalte Arbeitswelt: Hier schert sich jeder nur um sich selbst.

„Company Men“ von Debüt-Regisseur John Wells, der als Autor und Produzent von TV-Serien wie „Emergency Room“ und „West Wing“ lebensechte Dialoge schreiben kann, inszeniert die Chronik eines Niedergangs. Verdrängung, Scham, Verzweiflung, Wut, Pragmatismus lauten die Stationen. Drei Monatsgehälter bekommt der Familienvater noch. Nach demütigender Jobsuche samt vergeblichem Bewerbungstraining wird der Porsche verkauft, muss die Frau sich wieder als Krankenschwester verdingen, und das schicke Haus im Bostoner Vorort kann auch nicht mehr finanziert werden. Familie Walker landet im Keller der Schwiegereltern und kommt so schnell nicht mehr raus. „Ich werde siegen. Weil ich dran glaube, weil ich mutig und enthusiastisch bin.“ Der Slogan, den Bobby beim Arbeitsmarkt-Training lernen muss, klingt jetzt noch sarkastischer.

Das Mitleid des Zuschauers mit einem bislang auf Profitmaximierung und Statussymbole fixierten Neureichen mag sich in Grenzen halten – zumal Ben Affleck sich nicht gerade um Erweiterung seines beschränkten mimischen Repertoires bemüht. Aber wie Kameramann Roger Deakins („True Grit“) mit feiner Ironie die stylischen oder protzigen Interieurs der oberen Mittelschicht überzeichnet – vor allem die seelenleere Wohlstandsehe des ebenfalls gekündigten Konzernveteranen Gene (Tommy Lee Jones) –, das entstellt den amerikanischen Traum zur Kenntlichkeit. Phil (Chris Cooper), der dritte Entlassene aus der Chefetage, wirft hilflos Steine Richtung Firmenzentrale; seine psychische Labilität wird ihm zum Verhängnis. So viel Wirklichkeitssinn ist selten im Hollywoodkino.

Die Männer haben es vermasselt, jetzt sind sie selber dran. Die Filme zur Finanzkrise von 2008 singen zwei, drei Jahre danach ein Lied von Schuld und Sühne dazu, ob in „Up in the Air“ mit George Clooney, Oliver Stones „Wall Street 2“ oder dem Lehman-Brothers-Psychodrama „Margin Call“. Kein Zufall auch, dass die „Hangover“-Komödien Konjunktur haben. „Es ist uns schon wieder passiert“, so die mantraartig vorgetragene Selbstbezichtigung der Buddies, die nach der Junggesellensause mit einem riesigen Kater aufwachen und nicht mehr wissen, was bisher geschah. Aber sie ahnen, dass sie bei allem Spaß großen Mist gebaut haben und müssen ihre Taten mühsam rekonstruieren. Eine ähnliche Katerstimmung prägt die Finanzkrisenfilme.

Dass es mit der Virilität des Mannes so eine Sache ist, weiß das Actionkino schon länger. Verwundbare Machos, demolierte Bond-Typen, Rambos in Rente mit Altersbeschwerden, das sind die Helden von heute (siehe auch unsere Glosse). Nun hat es auch die Anzugträger erwischt, prompt bringt der Mainstream einen neuen Typus hervor: den geschassten Manager, der entdeckt, dass Geld nicht die Welt ist, und der die Familie nebst traditionellem Arbeitsethos zu schätzen lernt.

In „Company Men“ heuert Bobby jedenfalls bei seinem prolligen Schwager (Kevin Costner im Holzfällerhemd) auf dem Bau an und erfährt dort, was ruppig-aufrichtige Kollegialität bedeutet. Tommy Lee Jones wiederum, dessen zerknittertes Gesicht erneut das illusionslose, überlebenszähe, moralisch integre andere Amerika verkörpert, beschwört in einer verrosteten Schiffsbauhalle die guten alten Selfmade-Man-Zeiten. Krise? Kein Problem, gründen wir eben eine Ich-AG. Die Nation besinnt sich auf ihre wahren Werte, es lebe die männliche Tatkraft, und schon wird wieder in die Hände gespuckt...

Wir steigern das Bruttosozialprodukt: Weil Hollywood an den Maximen des Kapitalismus nicht grundsätzlich zweifelt, bringt die Traumfabrik seltsame Paradoxien hervor. Einerseits erlebt der finanzkrisengebeutelte Kinofan, dass er nicht allein ist. Wenn selbst Stars wie Ben Affleck als Bobby oder Tom Hanks als „Larry Crowne“ erleben müssen, wie ihr Eigenheim zwangsversteigert wird, hat das für die Opfer der Immobilienblase vielleicht etwas Tröstliches. Aber wenn Hanks als ehemaliger Supermarkt-Abteilungsleiter in „Larry Crowne“ das Arbeitslosen-Dasein als supercoole Sache samt College-Besuch genießen lernt, wenn als Belohnung für seinen fröhlich eingeschlagenen zweiten Bildungsweg gar eine Liaison mit Julia Roberts winkt, kippt die Empathie in Zynismus. In „Forrest Gump“ verkörperte Hanks das hoffnungslos naive Amerika, ähnlich enorm ist jetzt die Verdrängungsleistung seines „Arm, aber sexy“-Helden.

Widersprüchlich auch die „Company Men“: Einerseits der knallharte Realismus der Dialoge (und der Verzicht auf melodramatische Musiksauce). Vor allem Tommy Lee Jones spricht Klartext, wenn er den CEO, mit dem er die Firma einst hochzog, des Verrats bezichtigt und ihn fragt, warum statt Massenentlassungen nicht der Verkauf der teuren neuen Konzernzentrale erwogen wird. Andererseits wird die Mär vom Stehaufmännchen aus dem Hut gezaubert, nach dem Motto: Du hast keine Chance, also nutze sie. Wenn du untergehst, bist du selber schuld, das System kann nichts dafür. Das entlastet die Bosse – Bobby rutscht ja schlimmstenfalls in die untere Mittelschicht ab.

Die eigentümlichste Wendung ließ sich in dieser Saison bislang in „Source Code“ beobachten, dem Film, der Anfang Juni den Reigen der Sommer-Blockbuster eröffnete. Inzwischen darf man die Pointe des Thrillers vielleicht verraten: Es ist ein toter Mann, der hier Amerika rettet. Sein noch reges Helden-Hirn in der leblosen Körperhülle wird erfolgreich aktiviert, als ihm gesagt wird: „Yes, you can. Du bist der geborene Held, das denkt auch dein Dad.“ Vor den Vätern sühnen die Söhne – und sündigen anschließend weiter.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Cinestar Hellersdorf, Colosseum, OV: Cinestar Sony-Center

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