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Asia Crippa

© filmgalerie 451

Gefühlskino: Patti und das Findelkind

Der 2009 bei der Quinzaine in Cannes uraufgeführte und seitdem mit Preisen überhäufte Film erzählt mit eine anrührende Geschichte, ohne billige Sentimentalitäts- oder Spannungseffekte. Kleiner Film, ganz groß: „La Pivellina“.

Ähnlich wie Tierbabys sind Kleinkinder im Kino oft nur Niedlichkeitsstaffage. Doch das etwa zwei Jahre alte Mädchen (Asia Crippa), das eines trüben Wintertages in die Welt italienischer Zirkusleute hineinschneit, ist sehr real. Die Pivellina (etwa mit „Grünschnäbelchen“ zu übersetzen) steht neben einer Spielplatzschaukel, in einen dicken Spielanzug gepackt. Die Artistin Patti – wilder Großmuttertyp mit feuerrot gefärbtem Haar – sucht gerade ihren Hund, als sie das Mädchen findet und kurzentschlossen in ihren engen Wohnwagen mitnimmt. Dort bleibt das Kind erst mal, auch wenn Pattis Partner Walter auf Meldung bei den Carabinieri drängt.

Vor fünf Jahren haben die Südtiroler Filmemacher Tizza Covi und Rainer Frimmel in ihrem Dokumentarfilm „Babooska“ die Zirkusfamilie um Patti Gerardi und Walter Saabel porträtiert. Nun präsentieren sie die zartfühlende Powerfrau und ihren bedächtigen deutschstämmigen Partner als improvisationssichere und charismatische Hauptdarsteller einer fiktiven Kinogeschichte. Die Begegnung mit der kleinen Asia verändert für alle Beteiligten die Welt. Selbst der halbwüchsige Neffe Taio lässt für die Kleine eine Liebesgeschichte platzen. Und irgendwann sitzt Patti am Campingtischchen und füllt mit Taios Hilfe, doch ohne Walters Wissen, das Formular für einen Adaptionsantrag aus.

Unscheinbar kommt der billig produzierte Film zunächst daher. Doch bald entfaltet sich durch den Blick der zärtlich jede Regung aufzeichnenden Handkamera eine Filmwelt, die in ihrer emotionalen und visuellen Reichhaltigkeit keine Vergleiche scheuen muss: 3-D-Gefühlskino auf feinstem Niveau. Eine weitere Hauptrolle spielen die Brachen der römischen Peripherie, wo die Zirkusleute zwischen Schrottplätzen, Ausfallstraßen und Fetzen von Restnatur ihr bescheidenes Winterlager aufgeschlagen haben.

Bei aller Ärmlichkeit der Verhältnisse aber ist „La Pivellina“ kein Kino der sozialen Anklage. Der 2009 bei der Quinzaine in Cannes uraufgeführte und seitdem mit Preisen überhäufte Film erzählt mit nie ausgestellter Kunstfertigkeit eine anrührende Geschichte, ohne billige Sentimentalitäts- oder Spannungseffekte. Also ist auch das Ende nicht ganz happy. Vielleicht gerade deswegen: Schöner kann Kino kaum sein. S. H.

fsk, Hackesche Höfe, Kant (alle OmU)

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