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© Hofer Filmtage

Hofer Filmtage: Schön war die Zeit

Eindrücke von den Hofer Filmtagen: Das deutsche Kino macht sich gerade seinen Reim auf das weltweite Krisengefühl.

Der deutsche Film siecht. Er hüstelt und röchelt, deliriert und stirbt manchmal einen zähen Tod. Wo man auch hinschaut: Depressionen, Infarkte, Sucht, Psychosen, Organversagen, Krebs im Spätstadium. Ein Kino, das sein Publikum jauchzen und jubilieren ließe, sieht anders aus. Aber ist damit nicht genau jene triste Stimmung getroffen, die sich in diesem deutschen Herbst auf das Gemüt legt?

Wer sich bei den gestern zu Ende gegangenen Hofer Filmtagen zwischen den acht Kinosälen des Festivals bewegte, dem drängte sich der Eindruck auf: Das deutsche Kino macht sich in der fränkischen Provinz gerade seinen Reim auf das weltweite Krisengefühl. Klar, die Filme entstanden vor den aktuellen Turbulenzen. Aber vor dem veränderten Hintergrund entwickeln sie Brisanz: als Ausblicke auf jene Verwerfungen, die uns erwarten, wenn die Verfalls- und Rezessionsszenarien Wirklichkeit werden.

In ihrem Debütfilm „Der Architekt“ registriert Regisseurin Ina Weisse die Erschütterungen, denen eine vierköpfige Familie mit dem sprechenden Namen Winter auf einer Begräbnisreise in die schneeverwehten Alpen ausgesetzt ist. In der beklemmenden Atmosphäre eines Bergdorfs beginnt der Putz zu bröckeln, der die emotionalen Risse in der Familie bislang verdeckte. Zum Vorschein kommen: Ängste, unerfülltes Begehren, Aggressionen, Sadomasochismus, Inzest. Immer am Rande des Herzinfarkts schleppt sich Josef Bierbichler als verschlossener Patriarch durch die Handlung, bis er leblos am Straßenrand zusammenbricht. Der Tod hält diesen Film fest umklammert. Mit Bierbichler, Sandra Hüller, Matthias Schweighöfer und Sophie Rois ist „Der Architekt“ hervorragend besetzt. Und trotz einiger Überpointierungen muss man den weiß-schwarz-grauen Schnee- und Seelenlandschaftsbildern zugute halten: Der Film wagt etwas – mit großem Gewinn.

Das würde man gerne auch von Jan Fehses Debüt „In jeder Sekunde“ behaupten. Auch er versammelt mit Sebastian Koch, Mina Tander, Barbara Auer und Wotan Wilke Möhring ein ausgezeichnetes Ensemble. Und auch er riskiert das Drama des ganz großen Lebensdeliriums. Doch Fehses Mixtur aus Ehekrise, Erbkrankheit, Drogen, Eifersucht, Selbstmord, Alkohol, Unfall und Psychiatrie ist dann doch zu dick angerührt. Vergeblich bemüht sich der Film, zwei Handlungsstränge parallel zu erzählen und diese erst spät zusammenzuführen. So bleiben die einzigen klaren Linien die ständig im Bild zu sehenden Koks-Lines.

Mit wild entschlossener Konzentration geht Matthias Luthardt („Pingpong“) ans Werk. Sein Film „Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf“ erzählt von einer trauernden Frau. Tief verstört über das plötzliche Verschwinden ihres Mannes, scheint sie in ihrem Schmerz Wahnvorstellungen zu entwickeln. Eines Tages trifft sie auf einen Mann, der ihrem Gatten zum Verwechseln ähnlich sieht – und doch vermutlich ein anderer ist. Bis zum Ende hält der Regisseur sein fein ausbalanciertes Konstrukt aus Schein und Sein in der Schwebe. Der einzige Makel dieser kühlen, an Hitchcock ebenso wie an Christian Petzolds Gespensterfilmen geschulten Doppelgängergeschichte ist das digitale Format: Die Grobkörnigkeit der Digibeta-Aufnahmen unterläuft das Interesse, das dieser Film täuschenden Oberflächenphänomenen entgegenbringt.

In Michael Kliers Buddy-Movie „Alter und Schönheit“ liegt Peter Lohmeyer mit Krebs im Sterben und versammelt noch einmal seine Freunde um sich: Henry Hübchen, Burghart Klaußner, Armin Rohde und Sibylle Canonica. Ein Versprechen: Der präzise Menschen-inStädten-Beobachter Michael Klier („Heidi M.“) dirigiert ein namhaftes Schauspieler-Quintett. Doch es bleibt unerfüllt. Mehrfach sieht man die Figuren mit einem Ferrari durch Berlin kurven – ziellos verfährt sich der Film. „Alter und Schönheit“ bleibt merkwürdig unentschieden: zu oberflächlich, um als melancholische Reflexion über das Sterben durchzugehen, zu erdenschwer für eine leichtfüßige Lebenskrisenkomödie.

Publikumsliebling in Hof war Marko Doringer mit seinem Dokumentarfilm „Mein halbes Leben“. Der 34-jährige Berliner Regisseur fragte sich: Warum ist es so schwer, über 30 zu sein? Warum, verdammt noch mal, stellt sich nicht endlich ein Gefühl des Angekommenseins ein? Sein Film ist der Versuch, die eigene Depression zu therapieren und die zermürbenden Selbstzweifel zu entsorgen. Doringer bricht von Berlin aus in seine österreichische Heimat auf und befragt die besten Freunde nach ihren Antworten aufs Leben. Doch trotz beruflicher Erfolge herrschen auch bei ihnen Selbstzweifel und Rastlosigkeit. Ein bestechendes Generationenporträt, das über lange Passagen mit subjektiver Kamera gefilmt ist.

Manchmal sieht man Doringer im Zwiegespräch mit seinem Psychotherapeuten: Szenen, deren entwaffnende Selbstbezogenheit an die herrlich komischen Dokumentationen von Alan Berliner erinnern. Ähnlich wie sein New Yorker Kollege tritt Doringer seiner Lebenskrise mit charmanter Selbstironie entgegen und verweist augenzwinkernd darauf, wie wichtig es sein kann, unernst zu sein. Man kann es auch als Botschaft verstehen, die die Hofer Filmtage ihrem Publikum mit auf den Weg zurück in die gebeutelte Welt geben.

Julian Hanich

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