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Elah

© Concorde

Im Tal von Elah: Soldaten, Monster, Patrioten

Hollywood entdeckt die Selbstkritik - mit mäßigem Kassenerfolg. Jetzt gibt es noch einen Irakkriegs-Film. Es ist der bisher beste.

Tommy Lee Jones redet nicht viel. Schiebt die blitzblank gewienerten Schuhe akkurat nebeneinander, steckt die Tagesdecke faltenfrei fest, streicht die Hosenbeine an der Bettkante glatt und schweigt beim Telefonat mit der Ehefrau in den Hörer hinein. Disziplin muss sein, der Mann ist Vietnam-Veteran. Noch wenn er sich in der Oben-Ohne-Bar einen winzigen Schluck Bier ausschenkt, verraten die Gesten des Ex-Militärs: Da hat sich einer zeitlebens keinen Fehler gestattet und muss nun, bei der Suche nach seinem aus dem Irak zurückgekehrten Soldatensohn, allmählich begreifen, dass sein Leben vielleicht die ganze Zeit ein Fehler war. Tommy Lee Jones als Hank Deerfield, das ist Daddy Amerika in der Krise, ein Mann, der begreift, dass seine Disziplin die Probleme nicht löst, sondern erst auslöst.

Jones' Reptiliengesicht verleiht dem bis auf die Grundfesten erschütterten Patrioten Profil und stattet den Protagonisten von Paul Haggis' KriegsheimkehrerDrama „Im Tal von Elah“ mit eben jener Zählebigkeit aus, die auch seinen Sheriff im oscarprämierten Coen-Thriller „No Country for Old Man“ charakterisiert. Dabei ist er nicht der einzige Hollywoodstar, der sich in diesen Tagen dem politischen Gegenwartskino verschreibt. Was Irakkriegs-Kritik betrifft, liefern sich Amerikas Schauspieler einen regelrechten Wettkampf der aufrechten Gesinnung.

Den Anfang machte George Clooney, der in „Syriana“ in einen mörderischen Nahostkrieg um Macht und Öl geriet. Tom Cruise, Meryl Streep und Robert Redford entlarvten in „Von Löwen und Lämmern“ die Antiterrorkriegslügen; in „Operation: The Kingdom“ schlug sich Jamie Foxx mit bösen Arabern und korrupten Politikern herum, und in Gavin Hoods „Rendition“ folterte die CIA für den Frieden, was Reese Witherspoon und Jake Gyllenhaal gar nicht gefiel. Tom Hanks, Julia Roberts und Philip Seymour Hofmann koppelten die Debatte in „Der Krieg des Charlie Wilson“ an Amerikas früheres Afghanistan-Engagement zurück.

Der Stimmungsumschwung in Sachen Irak prägt längst den aktuellen USWahlkampf. Da drängt sich die Frage auf, wie offen die Türen eigentlich sind, die da mithilfe des Massenmediums Kino eingetreten werden sollen. Andererseits wurden all diese Stoffe zu einer Zeit entwickelt, als offene Kritik an George W. Bush noch Courage erforderte – die sich nun dummerweise wie Gratismut ausnimmt.

Die Selbstverständigung des anderen Amerika ist zum eigenen Genre geronnen – wenn auch ohne Kassenerfolg. Die Mehrheit der Amerikaner hat die Abkehr von Bushs Außenpolitik vollzogen, im Kino will sie offenbar nicht auch noch mit Argumenten für diese Abkehr behelligt werden. Ob Kammerspiele oder Actionthriller: Die Politthriller wollen nur wenige sehen; auch in Europa sind die Antiterrorkriegsfilme nicht zu Hits avanciert. Brian de Palmas Vergewaltigungs-Kriegsvideoschocker „Redacted“ hat seit seinem Start Mitte November in den USA keine 70 000 Dollar einspielt. Auch das erheblich leichter verträgliche Drama von Paul Haggis brachte es in den USA auf lediglich 6,7 Millionen Dollar.

Gewiss spielt auch die Zeitnähe eine Rolle. Die epochemachenden Vietnamfilme „The Deer Hunter“ und „Apocalypse Now“ wurden nicht 1968 gedreht, sondern zehn Jahre später; wegen der schockhaften Wirkung realer Bilder – siehe Abu Ghraib – sperrt sich die Gegenwart gegen ihre unmittelbare Verfilmung. Zweitens lauert auf jedem Kriegsfilmschauplatz auch ein Allgemeinplatz. Allzu leicht predigt man Bekehrten, wenn man den Schmutz und die Perversionen des Krieges ins Bild setzt. Wer findet Krieg schon normal. Und drittens macht ein Sujet noch lange keine Story. Kino ist keine Schule der Nation.

Dabei bemüht sich der mit zwei Oscars ausgezeichnete Paul Haggis um clevere Pädagogik. Mit Sätzen wie: „Man sollte keine Helden in den Irak schicken.“ Oder mit symbolträchtigen Szenen wie die mit der falsch herum hängenden US-Fahne. Hank Deerfield erläutert deren Notsignalcharakter: „Das Wasser steht uns bis zum Hals, rettet unsere Ärsche, denn wir können uns selbst nicht mehr retten.“

Am Anfang sorgt Hank dafür, dass das Banner korrekt am Fahnenmast hängt. Am Ende hängt er selbst das Banner kopfüber: Er, der Vater, ist ebenso in Not wie das Vaterland. Zwischen diesen beiden Szenen gerät er ein klassisches „Whodunnit“. Sein Sohn Mike ist verschwunden, aus Fort Rudd, New Mexiko. Hank begibt sich von Tennessee aus auf seine Fährte und nimmt nach einigem Konkurrenzgerangel die Hilfe der Kripo-Beamtin Emily Sanders (Charlize Theron als alleinerziehende Mutter) in Anspruch. Gemeinsam stoßen sie auf grausame Wahrheiten, auf Leichenteile, Lügen, Traumata und die eigene schuldhafte Verstrickung. Zu den Fundstücken gehören auch Mikes hitzebeschädigte Handy-Videos mit halbzerstörten Sequenzen von sinnlosen Einsätzen und verwackelten, undeutlichen Zeugnissen der Verrohung. Keine Bilder von Gewalt, nur Pixel, Fetzen, weißes Rauschen.

Plötzlich liegt Bagdad mitten in den Vereinigten Staaten. Der Krieg setzt sich fort, er jagt die, die ihn führen. Es gibt kein Entkommen, keine Befriedung, nur Sperrfeuer der Erinnerung und die unterlassene Hilfeleistung derer, die so tun, als sei alles in Ordnung. Hanks verlorener Sohn ist ein Täter, der zum Opfer wird. Ein Täteropfer, eins von vielen.

Der Irak als Kriminalfall. Paul Haggis entgeht der Gefahr der Plattitüde paradoxerweise, indem er sich an die GenreKonventionen der Krimiserien hält. Die Schauplätze: gesichtslose Einfamilienhäuser, Vorgärten mit vertrockneten Rasenflächen, Behördenflure – das Amerika der Diners, Billigmotels und Überwachungskameras. Eine bleiche Nation. Bei Tag dominiert die Coolness entsättigter Farben, nachts orgeln die Lichthupen der Cops. Und bei der Kripo witzelt und mobbt man sich durch den Dienst, während die Militärs mit den Detectives um Kompetenzen streiten.

Man kennt das. Haggis diszipliniert die Fantasie, übt kühle Kontrolle aus. Und eben diese kontrollierte Ästhetik, die Vertrautheit des TV-Serienstils beglaubigt den Plot, der auf einer wahren Geschichte beruht. 2004 erschien im „Playboy“ Mark Boals Reportage „Death and Dishonor“ über die brutale Ermordung eines Irakheimkehrers in Fort Benning, Georgia; die Leiche wurde zerstückelt. Das ist die Kehrseite der Nation, die gern als Weltpolizei alles unter Kontrolle hätte. Dass die Jungs in Uniform außer Kontrolle geraten.

Susan Sarandon verkörpert Hanks genügsame Ehefrau, Inbegriff der allzeit tapfer beherrschten Gefühle. Ihre Trauer über den zweiten gestorbenen Sohn – auch der ältere kam bei einem Einsatz ums Leben – lässt sie versteinern, ohne Schrei, ohne große Worte. Es sind diese minimalistischen Momente, in denen Paul Haggis seinem Land den Spiegel vorhält. Einen Spiegel voller blinder Flecke, denn die Videoschnipsel vom Irak sind ja längst zerschossen und ruiniert. Ein klareres Bild, sagt dieser Film, kriegen wir nicht von der Gegenwart. Wir würden es auch nicht ertragen.

So entgeht Haggis der Falle der zu großen Zeitnähe und mutet dem Publikum immerhin eine Ahnung zu, ein Innehalten. Im Tal von Elah kämpfte einst David gegen Goliath. Emilys furchtsamer Sohn lauscht zum Einschlafen der Geschichte vom Kind, das das Monster besiegt, indem es die eigene Angst tötet. Opa, komm, erzähl vom Krieg. Zu gern wäre Daddy Amerika der freundliche Alte, der kleine Jungs mit solchen Storys zu Männern macht. Aber der vermeintlich am Leben so gefestigte, besorgte Veteranen-Vater muss am Ende den Zeugenstand verlassen und auf die Anklagebank. Weil er auf Mikes Hilferuf nicht wie ein Vater, sondern wie ein Militär reagierte.

Es ist das Verdienst von Tommy Lee Jones, dass er den Patrioten Hank weder verrät noch verteidigt. Daddy Amerika sieht alt aus am Ende. Aber er ist kein Monster. Er weiß jetzt nur, dass Soldaten zu Monstern werden, wenn sie die Angst in sich töten.

Ab Donnerstag in zehn Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center, OmU im Babylon

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