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Wim Wenders

© ddp

Interview mit Wim Wenders: "Man muss es einfach lässiger sehen"

Der Regisseur Wim Wenders spricht im Interview über Clips im Internet, Urheberrecht und das Kino des 21. Jahrhunderts.

Herr Wenders, Kino war eins der großen Medien des 20. Jahrhunderts. Ist es auch eins des 21. Jahrhunderts?

Ich glaube: sogar mehr denn je. Das Bild hat in vieler Hinsicht das Wort übertrumpft im 20. Jahrhundert, und das 21. Jahrhundert ist wirklich in jeder Hinsicht die Zeit der Bildersprache.

Ist denn angesichts der vielen kleinen Bilder, mit denen wir über Internet und Handy bombardiert werden, noch Platz für die großen Bilder, für die Sie berühmt sind?

Die Menschheit hat Bilder gemacht, so lang man sich erinnern kann, große und kleine, und wird auch weiter Bilder brauchen. Es besteht aber die Gefahr, dass die Menschheit der Bilder überdrüssig wird. Oder vielleicht nicht der Bilder, sondern eher der Vielzahl und dem Überfluss ein bisschen anheim fällt.

Besteht aber nicht die Gefahr, dass in der digitalen Welt das Kinoerlebnis verloren geht, weil man alles auf wenigen Zentimetern Diagonale sehen kann, wo dann alles gleich ausschaut?

Ich bin da ganz optimistisch. Ich denke, dass das Kino einige Stürme überlebt hat, und einige große Revolutionen - vom Stummfilm zum Ton, zur Farbe, zum Stereo. Es wird auch die noch größere Revolution überleben zum digitalen Kino. Es hat sich noch nicht richtig seine neuen Abspielstätten gefunden, noch ist das Kino ein ganz altertümlicher Ort, wo irgendwelche vorsintflutlichen Filmkopien hingeschleppt werden, die eigentlich längst nicht mehr gebraucht werden, aber das Vertriebsystem hält sich noch. Und das digitale Kino, das es von der Produktion her schon längst gibt, hat seine Endstufe in der digitalen Produktion noch nicht gefunden, aber das ist eine Frage der Zeit. Dann werden sich diese Abspielstätten ernorm ändern, die Programmierung wird sich enorm ändern. Ich glaube, es wird auch neue Kanäle geben. Und die Begeisterung, sich Filme auf den Handy anzugucken: Da kann man ganz getrost abwarten, dass das abebbt. Es mag ja viele Sachen geben, die man sich auf dem kleinen Bildschirm angucken kann. Jeder sieht ja mittlerweile auch Filme im Flugzeug und so. Man kann ja schon gar nicht mehr anders, es sei denn, man zieht sich die Augenbinde an, sonst muss man ja Filme gucken. Aber das Erlebnis einer großen Leinwand, das gemeinsam mit anderen zu sehen, das ist schwer zu toppen, auch als soziales Erlebnis, und ich glaube, das wird auch im 21. Jahrhundert wieder entdeckt und wieder belebt werden.

Bedeutet das digitale Kino für Sie vor allen eine neue Abspielstation oder können Internet und Multimedia auch für Sie neue Kunstformen bringen?

Ich bin daran sehr interessiert. Ich habe ja schon Anfang der Neunzigerjahre mit digitalen Mitteln gearbeitet. Es ist ja im Moment noch so, dass vieles, was möglich ist, sich nur im musealen Raum oder in Galerien abspielt. Vieles läuft ja auch noch im Kunstsektor, was irgendwo schon nah am narrativen Kino dran ist, aber im Moment nur in Galerien zu sehen ist, oder in Installationen, und da sind natürlich Möglichkeiten, dass sich das auf eine andere Art verbindet und da ganz neue Form bei herauskommen, riesig groß. Ich kann mir schon vorstellen, dass man im Imax-Kino in zehn Jahren auch etwas sieht, das interaktive Elemente hat, oder Sachen, die derzeit nur in Museen laufen, ihren Weg auch in Kinos finden. Es ist ja hochinteressant, was gerade in der Videokunst von Leuten vorgedacht wird, was vielleicht dann irgendwann im kommerziellen Kino seinen Platz findet. Das war ja oft so. In vieler Hinsicht hat die Kunst der Videoclips die Spielfilmlandschaft komplett innovativ bereichert.

Bedeutet das womöglich, dass die Form, mit der auch Sie angefangen haben, dass der Kurzfilm eine neue Chance bekommt?

Man sieht das ja an der großen Anzahl von Compilation-Filmen, wo zehn Kurzfilme zusammengefasst sind oder wo mehrere Regisseure an einem Projekt arbeiten - wir haben das mal gemacht vor ein paar Jahren mit "Ten Minutes Older", wo 20 Regisseure jeweils zehn Minuten über Paris gemacht haben, jeder ein anderes Arrondissement. Von diesen Filmen gibt es ja inzwischen immer mehr. Und ich glaube, nicht zuletzt deswegen, weil das Format Kurzfilme erstens kaum noch vorkommt woanders, aber zweitens auch, weil es in vieler Hinsicht mit der Spanne von Aufmerksamkeit von vielen Leuten gut zusammenfällt. Ich muss sagen, ich sehe richtig gern Kurzfilme, und wenn ich die Chance habe, ein Kurzfilmprogramm zu sehen für etwas Abendfüllendes, gehe ich da sofort rein, mir gefällt das gut, wenn man sich ein paar Minuten, vielleicht zehn, manchmal auch 20 Minuten auf einen Film einlässt. Ich habe das immer sehr bedauert - der Kurzfilm hat ja so ein komisches Dornröschendasein verbracht. Als ich Student war und angefangen habe, Filme zu machen, gab's den Kurzfilm noch vor jedem Film, das war eigentlich toll, und irgendwann gab es das dann nicht mehr, dann gab es das noch manchmal im Fernsehen, irgendwelche Kurzfilmprogramme, oder Festivals, die das gezeigt haben, aber eigentlich war es eine brotlose Kunst, die da vorgeführt wurde. Deswegen würde ich mich sehr freuen, wenn Kurzfilme wieder ein größeres Publikum finden würden. Es gibt keinen besseren Outlet sowohl für Studenten und Leute, die anfangen, als auch letzten Endes für Filmemacher, für Ältere so wie mich, alte Säcke - Filme herzustellen dauert so lange, jeder Film ein, zwei, drei Jahre eines Lebens, und dazwischen hat man tausend Ideen, die man in einem Kurzfilm oft prima verbraten könnte, wenn es denn das Bedürfnis dafür gäbe. Ich mache gerne Kurzfilme, und ich habe auch ein paar gemacht in den letzten Jahren.

Empfinden Sie die digitale Revolution als Befreiung? Weil es schneller geht, einfacher ist und nicht so teuer?

Es ist nicht so teuer, das ist irgendwo ganz recht, und in vieler Hinsicht geht es auch schneller. In vieler Hinsicht kann man Sachen machen die man vor zehn, zwanzig Jahren sich noch nicht mal hätte trauen dürfen, darüber nachzudenken. Also: Man kann sich wirklich komplett neue Sachen ausdenken. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch ein fürchterlich inflationäres Medium. Jeder kann inzwischen Filme machen, was zwar toll ist, aber gleichzeitig die ganze Bilderlawine noch mehr beschleunigt. Ich unterrichte ja und habe viele Studenten, und es ist manchmal da richtig schwer, noch jemanden rauszupicken, der wirklich was zu sagen hat. Darauf kommt es letzten Endes trotzdem noch an, auch wenn man viel schneller arbeiten kann mit digitalen Mittel. Es kommt darauf an: Was hat jemand zu erzählen? Und nicht: Mit welcher Technik macht er das?

Das eine ist die Beschleunigung, das andere die Vervielfältigung. Stört es Sie, wenn man aus Ihren Filmen Clips herausnimmt und beispielsweise bei You Tube einstellt und immer weiter vervielfältigt?

Ich kann nicht sagen, dass es mich stört. Hin und wieder finde ich es vielleicht nicht so toll. Auf der anderen Seite geht man ja auch mit anderen Sachen so um. Man geht ja mit Kunst so um. Von allen großen Malern kann man auch Kunstpostkarten verschicken. Und ich habe ja auch beispielsweise manchmal Ausschnitte aus Bildern herausgeschnitten und mir in mein Drehbuch geklebt, und wenn es nur eine Ecke war. Man geht ja auch mit Musik oder mit Literatur zitierend um, also warum nicht mit dem Kino?

Da ist natürlich die Frage des Urheberrechts.

Na ja, wenn man wirklich was kopiert oder benutzt, ist das etwas anderes. Aber es ist ja ein heikleres Thema geworden im digitalen Zeitalter: der Urheber, das Original. Man kann das lässiger sehen. Es gibt Leute, die sagen, wenn man zitiert wird, ist es eigentlich eher eine Ehre, denn nur die guten Sachen werden zitiert, aber das stimmt auch nicht immer. Man muss es einfach lässiger sehen. Ich merke das ja auch bei meinen Studenten. Die machen einen Film, und dann kommt ein Stück vor von irgendeinem Film, der ihnen gefallen hat, oder es wird ja auch gerade bei Studenten viel verarbeitet an Filmgeschichte, und da kommt dann immer die Frage: Darf ich das denn verwenden. Wenn es ein Film von mir ist, sage ich ja gut, aber dann ist es vielleicht eine Szene aus einem Bergmann-Film, oder irgendetwas aus der Filmgeschichte, und ich finde schon, dass das möglich sein muss, erzählerisch so etwas zu zitieren, ohne gleich eine Heerschar von Anwälten zu bemühen. Das ist so eine amerikanische Krankheit, dass man kaum noch etwas machen kann, ohne einen Anwalt zu beschäftigen.

Stichwort "amerikanisch": Regiert die Filmbranche in den USA und in Europa gleich auf die neuen Möglichkeiten, oder gibt es Unterschiede? Sie werden in London bei ihrer gerade begonnenen Retrospektive beispielsweise ausdrücklich als "europäischer" Filmemacher vorgestellt.

Na sicher gibt es große Unterschiede. Der größte Unterschied ist der, dass es in Europa so viele kleine nationale Filmindustrien gibt, inzwischen über 40, was auch der einen Seite natürlich toll ist. Wer hätte sich schon vor ein paar Jahren gedacht, dass ein rumänischer Film in der ganzen Welt rauskommt und auch echt klasse ist. Auf der anderen Seite ist die Krux des europäischen Kinos eben seine Zersplitterung, und dass es nach wie vor schwieriger ist, einen Film über die Grenzen innerhalb Europas zu bringen als für die Amerikaner, in ganz Europa auf einen Schlag einen Film herauszubringen. Das europäische Kino leidet unter seiner Vielfalt, und natürlich - andererseits sieht man das, wie wenn ein Film gerade aus den alten Ostblockländern kommt, wie aufregend das sein kann, diese Vielfalt. Aber es ist nach wie vor auch eine Krux. Was den Wechsel zum digitalen Kino angeht, ist das natürlich ein großes Machtspiel im Moment. Wer wird das kontrollieren? Der kreative Traum ist natürlich, dass es nicht kontrolliert wird, dass die Abspielstätten sich ihre eigenen Bahnen schaffen, Auf der anderen Seite ist natürlich die Industrie, gerade die amerikanische Industrie, daran interessiert, dass es Normen gibt, und wer immer die Normen bestimmt, wird sie auch in Zukunft kontrollieren.

Und wie wird das ausgehen?

Das ist im Moment noch ganz schwer zu sagen. Ich hoffe, dass die Europäische Union den Verstand hat und den auch ökonomischen Instinkt, sich keine Normen aufdrängen zu lassen, sondern im Gegenteil das offen zu halten. Wenn es irgendwelche Normen gibt, mit denen man wieder nur reinkommt auf diese Kanäle und die Kinos, dann wird damit auch wieder der content bestimmt, wie das halt im Moment nach wie vor so ist. Es ist eine enge Pforte, das Kino heute, leider. Erstens muss man noch Kopien machen - die Beamer sind ja noch ganz am Anfang-, was ziemlich teuer ist. Und zweitens stößt man dann an diese Pforte, wo von zehn Filmen dann vielleicht nur einer durchkommt und es auf die Leinwand schafft, vielleicht sind es mittlerweile zwei. Aber da geht es ja dann auch Ruckizucki, wenn er in der ersten Woche keine Resultate bringt, ist der Film schon wieder weg. Es ist ziemlich brutal, dieses alte Vertriebssystem, das Strukturen hat, die althergebracht sind und zum großen Maße von Amerikanern kontrolliert werden, in Europa und gerade in Deutschland, und tja - das aufzubrechen oder anders zu machen, ist erstens nicht leicht und zweitens natürlich spannend. Der Traum eines unabhängigen Filmemachers ist natürlich, dass keine neuen Abhängigkeiten geschafft werden.

Wie sehen Sie die Chancen des deutschen Films? Es gab ja einige Erfolge in letzter Zeit für deutsche Filme, gerade auch in angelsächsischen Ländern.

Absolut. Es ist eigentlich ganz erstaunlich. Das ist eine ganz kraftvolle Szene in Deutschland, und die Filme, die auf die Reise gehen, sind ja leider nur eine Handvoll jedes Jahr. Dahinter steckt aber eine ganze Menge von Filmen, die auch sehr toll sind und nicht unbedingt so viel Aufmerksamkeit bekommen wie "Das Leben der Anderen" oder "Goodbye Lenin" oder "Der Untergang". Es gibt in Deutschland wieder ein richtiges Potenzial und es wird viel produziert - viele Erstlingsfilme, weil das die meisten Produzenten lieber machen. Es ist dann schon viel schwieriger, den zweiten zu machen. Da bricht es dann auch oft rapide wieder ab. Aber es gibt ein großes kreatives Potenzial im Moment in der deutschen Kinolandschaft.

War das "Leben der Anderen" so etwas wie ein Durchbruchsfilm? So wie der Oscar für "Chariots of Fire" in den Achtzigern dem britischen Film geholfen hat?

Ich glaub schon. Ich glaube, dass das nicht zu unterschätzen ist, was der Oscar da im positiven Sinne angerichtet hat. Dass so ein junger Mann [der Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck, die Red.] so lange an etwas arbeitet und sich mit soviel Dickköpfigkeit dann auch durchsetzen kann, ist schon für viele ein großes Zeichen gewesen.

Das Interview führte Markus Hesselmann.

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