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Italienische Zeitgeschichte: Die Mörder sind über uns

"Il divo" erzählt von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Italiens Giulio Andreotti, einer Zentralfigur der Zeitgeschichte, – und davon, wie Macht funktioniert.

Dreimal in diesem Film geht der mächtigste Mann Italiens hinaus in die Welt, nachts, in die Stadt. Und das funktioniert so: Drei gepanzerte Limousinen schleichen durch eine menschenleere Gasse Roms, einer entsteigt Giulio Andreotti, den beiden anderen ein Halbdutzend Leibwächter, und während die Autos im Altherrenschritttempo weiterzuckeln, drückt sich der Ministerpräsident an der Hauswand entlang. Einmal liest er dort ein Schmäh-Graffito, das ihn eines politischen Mordes bezichtigt. Einmal gießt es in Strömen, und durchnässte Bodyguards halten ihm Schirme. Und einmal ist dann doch ein Mensch aus der Welt da draußen zu sehen: Es ist ein Schlachter, der vorm Morgengrauen Schweinehälften auslädt aus seinem kalkweiß erleuchteten Lieferwagen vor einer Metzgerei.

Die regelmäßig wiederkehrenden Freigänge eines Siebzigjährigen aus dem selbstgewählten Luxusgefängnis der Macht sind das Leitmotiv eines der bemerkenswertesten politischen Filme seit langem. Ebenso grausig wie kümmerlich, erzählen sie von der Einsamkeit eines absoluten Potentaten in einer sogenannten Demokratie, der sich die Welt mit allen Mitteln vom Leib hält – die Höflinge durch haarfeine Verachtung und die Gegner, indem er sie so beseitigen lässt, dass kein Blut an den eigenen Händen bleibt. Zugleich zeugen diese rituellen Nachtwege von der Lächerlichkeit eines Menschen, der sein Leben an den Besitz der Macht vergeudet.

„Il divo“ von Paolo Sorrentino ist eine theatrale, grandios choreografierte Metapher auf den bösen Ruhm des Giulio Andreotti, den sie in Italien den Buckligen, den Fuchs, den schwarzen Papst und sogar den Beelzebub nennen. Genauso gut aber funktioniert der Film als Metapher auf Italien überhaupt, auf ein autoritätsverliebtes Land, das seine einmal gewählten Anführer stets hemmungslos gewähren lässt, wenn sie nur skrupellos genug auftreten, bis an den Rand der Diktatur oder auch darüber hinaus – von Mussolini über Andreotti bis Berlusconi.

Das operettenhafte Gebaren täuscht dabei über den eisernen Willen hinweg, mit dem die transalpinen Herrscher ihren Einflussbereich sichern und ausdehnen. Seinen Andreotti zeichnet der Regisseur mit feinem Strich an der Grenze zur Karikatur als halslosen Buckligen mit grotesk modellierten Eselsohren, als Aufziehpuppe voll kaum hörbar surrender innerer Rädchen, die sich vorwärts genau so kontrolliert wie rückwärts bewegt. Und doch bleibt dieser von Toni Servillo kongenial verkörperte Politiker immer unheimlich: leise, wenn andere toben und lärmen, mit eisern kontrollierter Gestik, ja, scheinbar eine Figur von äußerst konzilianten Umgangsformen. Und dass Andreotti sich mit seiner Frau schon deutlich vor Mitternacht von der lauten Party zu seiner x-ten Wiederwahl als Ministerpräsident zurückzieht, während seine nächstrangigen Lakaien nun erst recht auf die Tanzfläche drängen? Wer wollte es dem alten Herrn verdenken.

Von den frühen siebziger bis in die frühen neunziger Jahre war Giulio Andreotti sieben Mal Ministerpräsident, in den stets wirren damaligen Politikverhältnissen Italiens allerdings insgesamt kaum sieben Jahre lang. In Andreottis Amtszeiten fallen zahlreiche politische Morde, deren Aufklärung er und seine Gefolgsleute nicht eben tatkräftig beförderten – vom Mord an dem in Schmiergeldskandalen recherchierenden Journalisten Mino Pecorelli 1979 bis zu dem am Staatsanwalt und Mafiajäger Giovanni Falcone 1992. Erst als die italienische Justiz sich in einer beispiellosen Anstrengung gegen die mafiöse Unterwanderung des Staates auflehnt und bald sogar Mafiosi als Kronzeugen aussagen, sinkt Andreottis Stern. Er wird wegen Mafiaverbindungen angeklagt und 2002 sogar zu 24 Jahren Haft verurteilt, doch wird das Urteil ein halbes Jahr später aufgehoben. Anderen Vorwürfen entgeht er bald ebenfalls, wegen Verjährung.

„Il divo“ nähert sich der auch juristisch nach wie vor hochsensiblen Biografie Andreottis – der heute 90-jährige Senator auf Lebenszeit erfreut sich guter Gesundheit – von Anfang an entschieden hyperrealistisch: mal im Wege einer überfeierlich und tiefenpsychologisch dahertastenden Einsamkeitssondierung, mal als in die Farce getriebene Groteske. Seine nächsten Getreuen, vom eitlen Zweitligapolitiker bis zum schlaffen Kardinal, werden als lenkbare, ja kindisch ergebene Gang geschildert, getreu dem selbstironischen Andreotti-Ausspruch von 1973: „Ich bin mir bewusst, dass ich von mittlerer Statur bin, doch wenn ich mich umschaue, sehe ich keine Giganten.“ Und wenn die inhaltliche Schärfe überhandzunehmen droht, fährt die Kamera, zu Musik von Vivaldi bis Sibelius, einmal mehr elegant durch Prunksäle und nimmt einmal mehr ihren stumpf-schillernden Helden in die Zentralperspektive: Giulio Andreotti, Finsterling und Superstar.

In zwei Wirklichkeitsfelder nur dieses meist in düsteren Privat- und Machtgemächern inszenierten Lebens lenkt der Film ein sehr vorsichtig erwärmendes Licht. Da ist Andreottis Ehefrau Livia (Anna Bonaiuto), die, schon ewig an der Seite ihres stets schweigsamen Gatten, irgendwann die unendlich kriminelle Dimension seines Tuns und stets auch taktischen Unterlassens erahnt; doch die umwerfende Tragik des Erkennens panzert sie sogleich mit eben jener Härte, die für Andreotti selber typisch ist. Und da ist eine – schön düster erfundene – Kirchen-Beichte des Christdemokraten Andreotti, dem das Gespenst des von ihm kalt geopferten und von den Roten Brigaden 1978 getöteten Parteikollegen Aldo Moro zu schaffen macht. Freilich nicht aus Gewissensbissen: Nur von den Schatten dieses politisch durchaus opportunen Mordes, dies immerhin ein ansatzweise menschlicher Zug, fürchtet Andreotti eines Tages selber erfasst zu werden.

Insgesamt verblüffend leicht verständlich kommt der Film daher, was – abgesehen von seiner auf eine Figur zentrierten, mitunter fast fellinesken Opernhaftigkeit – vor allem den klaren politischen Frontstellungen jener Ära geschuldet ist: Linke gegen Rechte, Judikative gegen Exekutive. Das heutige Italien, und das erklärt auch das Scheitern neuerer filmischer Angriffsversuche im Stil von Nanni Morettis „Il Caimano“, ist viel schwerer fassbar. So glitschig wie sein Protagonist Silvio Berlusconi, der in nur drei Amtszeiten schon mehr Machtjahre gesammelt hat als Andreotti – und der dessen Lebensprojekt, die Abschaffung der Demokratie, auf unnachahmliche Weise vorantreibt: als so eiskalt wie lustvoll sich inszenierender Lächerling, den kaum jemand noch zu karikieren vermag.

Ab Donnerstag im Cinema Paris, Filmtheater Friedrichshain, International, Kulturbrauerei, Rollberg; OmU im Neuen Off

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