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Jüdisches Filmfestival: Kinder der Sonne

Heute beginnt in Berlin und Potsdam das 14. Jüdische Filmfestival – mit einer TV-Soap über eine palästinensische Familie.

Unglaublich, nie dagewesen. Eine arabische Familie im eigenen Wohnzimmer. Zur Hauptsendezeit. Müssen wir das eigentlich sehen, haben wir das nötig, fragten sich viele israelische Juden.

Ihre Fernbedienung antwortete für sie. Und so lernten sie Amjad und seine Familie kennen. Amjad, der Mustermann, der vorbildliche Araber, der beste israelische Staatsbürger weit und breit. Und doch ist niemand so tief gedemütigt wie er. Mindestens dreimal täglich bricht seine Identität komplett zusammen, immer, wenn er sich einem Checkpoint nähert. Die kleine Tochter grüßt in musterhaftem Hebräisch vom Rücksitz, seine Frau lächelt die Staatsmacht an, Amjad ist sogar angeschnallt – kein Araber, der noch bis drei zählen kann, schnallt sich an –, ja, dieser Amjad, Journalist bei einer halbwichtigen Zeitung, einziger Palästinenser unter lauter Juden, hält sich selbst fast schon für einen Juden.

Aber merkwürdig: Den Checkpoints passiert das nie. Ausweis!, bellt es jedes Mal. Amjad, der Aufsteiger, der Dazugehörer, will schon aufgeben, als ihm ein Kollege das größte Rätsel seines Daseins löst. Falsches Auto! Nur Palästinenser fahren Subaru, alte BMWs oder Fiat. Das jüdischste aller Autos aber sei ein Rover.

Heute Abend beginnt das 14. Jüdische Filmfestival Berlin & Potsdam mit Amjad, dem angeschnallten Rover-Fahrer und Haupthelden der politisch höchst inkorrekten jüdisch-arabischen Erfolgs- Fernsehserie „Arab Work“, Regie: Ron Ninio. „Avoda Aravit“, „Arabische Arbeit“ also, was, hört man, ungefähr denselben Grad von Wertschätzung ausdrücke wie „polnische Wirtschaft“. War es denn begrüßenswert, wenn im letzten Jahr israelische Juden vor ihren Fernsehern über Palästinenser lachten? Unbedingt, denn sie lachten zugleich über sich selbst, über die eigenen Vorurteile.

60 Jahre Israel. Natürlich bildet die jüdisch-palästinensische Tragödie auch 2008 die unausgesprochene Mitte des Festivals wie in „Lemon Tree“ von Eran Riklis, der eben noch auf der Berlinale den Panorama-Publikumspreis gewonnen hat und davon erzählt, wie palästinensische Zitronenbäume zum Hochsicherheitsrisiko werden können, zumindest wenn gleich nebenan der israelische Verteidigungsminister sich ein Haus bauen will.

In dem schönen Dokumentarfilm „The Hebrew Lesson“ weitet sich unser Blick auf alle, die sonst noch im Israel von heute leben: Russen, Rumänen, Chinesen, Deutsche. Aber doch nicht ohne Hebräisch! Das Porträt einer Hebräisch-Klasse, sehr intim, komisch und traurig zugleich.

Jeder mauerbauende Staat ist ein Absurdistan. Mauern grenzen ab, sie grenzen aus, Mauern schützen auch. Zu den größten Mauerbauern gehören von je her die Religionen. Der vielleicht schönste, verhaltenste Film des Festivals heißt „My Father, My Lord“ und lässt uns ein in die Welt einer ungewöhnlich kleinen orthodoxen Familie. Es ist, als ob die Hand Gottes selbst auf ihr liege, in der ruhigen, liebenden Vertrautheit des kleinen Menachem mit seiner Mutter und seinem Vater, des Rabbi. Das sieht man selten: Religion als ursprünglicher Schutzraum, als Raum einer besonderen Aufmerksamkeit füreinander. Nur manchmal fühlt der kleine Junge sie schon als unsichtbare Mauer. Denn er hat einen Krankenwagen gesehen, der eine sterbende Frau abholte, deren Hund ihr nicht von der Seite weichen wollte. Und Menachem fragt seinen Vater das Nächstliegende: Haben Tiere eine Seele? Die Antwort des alten Mannes ist klar, weil es eine uralte Antwort ist, noch aus der Zeit, als dem Menschen aufging, wie allein in der Welt – wie einzigartig also! – er ist mit seiner unheimlichen Gabe des Bewusstseins. „My Father, My Lord“, sich zur Tragödie weitend, ist der Debütfilm des 38-jährigen David Volach, aufgewachsen mit 19 Geschwistern in einer ultraorthodoxen Familie.

Alle Abstraktion ist lebensfeindlich, nicht nur die der Religionen. Zum ’68er Jubiläumsjahr porträtiert der Dokumentarfilm „Children of the Sun“ eine spezifisch jüdische Utopie und ihr Scheitern: den Traum von einem neuen menschlichen Zusammenleben ohne all das, was Menschen entzweit. Also ohne die Enge der bürgerlichen Familie. Ohne Hierarchie. Ohne Menschen, die „Ich“ sagen? – Ran Tal entwirft das Porträt seiner Elterngeneration, mit altem, zwischen 1930 und 1970 entstandenem Archivmaterial. Die heutigen Erinnerungen der einstigen Kibbuz-Bewohner hat er darübergelegt. Ein einzigartiger Erfahrungsraum.

Eine Welt ohne Ich-Sager? Die größte und erfolgreichste Ich-Sagerin unter dem Kinderspielzeug der Erde ist auch eine jüdische Erfindung: die Barbie-Puppe, erschaffen 1916 von Ruth Handler, Kind ostjüdischer Immigranten. Oder ist das platinblonde Verhängnis in ihrer Pinkwelt eher eine subtile jüdische Rache? Der preisgekrönte Kurzfilm „The Tribe“ von Tiffany Shlain verrät nicht nur das.

14. Jewish Film Festival: Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, bis 5. Juni, Tel.: 030/ 26955100; Filmmuseum Potsdam, Breite Str. 1 a, 6. bis 8. Juni, Tel.: 0331/27181-0

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