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Kino: Keine Aussicht, nirgends

Addio, Sicilia: der Auswanderer-Film „Golden Door“

Nackte, schmutzige Füße auf Felsen, menschliche Füße, Hände auch, verklebt von Blut und Dreck, die nach Halt suchen auf den harten, scharfkantigen Steinen, dazu zweifaches Keuchen, kein Wort. Die rätselhaften ersten Sequenzen dieses schönen, stillen Films über die Verheißungen der Neuen Welt lassen sich erst später entschlüsseln.

„Golden Door“ erzählt von Träumen und Illusionen, allerdings ohne sie mit einer harten Realität zu konfrontieren. Nicht um Tellerwäscher-Karrieren oder mafiöse Verstrickungen geht es Emanuele Crialese („Lampedusa“). Vielmehr lässt der Regisseur seine Protagonisten in einem Zwischenstadium verharren: Zwar haben Salvatore, seine beiden Söhne und seine Mutter das sizilianische Heimatdorf hinter sich gelassen, aber noch keinen Fuß ins gelobte Land gesetzt, an dessen Schwelle sie stehen. Das Goldene Tor steht auf Ellis Island, wo zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Einwanderungsbehörde darüber entscheidet, wer es passieren darf und wer nicht.

Das Goldene Tor ist eine Fantasie, genauso wie die Bäume, auf denen Geld wächst, oder die schafsgroßen Hühner. Mehr Informationen als die spärlichen Postkartengrüße ihrer bereits ausgewanderten Landsleute haben die armen Nachzügler nicht, und so imaginieren sie ein Land voller Wunder und Wohlstand.

Einstweilen sind sie allerdings im Schiffsbauch zusammengepfercht, und Crialese setzt die karge, helle Weite Siziliens gegen die drangvolle Enge in der dritten Klasse des Ozeandampfers. Von oben sieht man, wie die Menschen, die zum ersten Mal Schuhe tragen, mit ihren Bündeln und Weidenkörben ins Innere des Schiffes strömen, wo sie tagelang kaum Tageslicht sehen werden. Und der Zuschauer begreift, was die Reisenden selbst nicht ahnen: Diese Passage wird sie nicht zwangsläufig ins Glück führen.

Unter Deck bringen die gestapelten Betten, die knappen Waschgelegenheiten die Auswanderer ins Gespräch, und manche erfinden Geschichten über andere Passagiere, vielleicht weil sie die Zusammenhänge, die ihnen entglitten sind, wieder verstehen wollen. Als das Schiff sich Amerika nähert, ist es von dichtem Nebel umschlossen. Keine Aussicht, nirgends: Verblüffend einfach und eindrücklich visualisiert der Film die existentielle Unsicherheit seiner bescheidenen Helden. Am Ende treibt Salvatore mit seiner Familie auf einem Fluss aus Milch. Davon hat er immer wieder geträumt, und auch wenn man nicht weiß, was aus ihm werden wird, so scheint er doch nicht unterzugehen.Daniela Sannwald

Broadway, Cinemaxx Potsdamer Platz, FT am Friedrichshain, fsk Oranienplatz

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