zum Hauptinhalt
305031_0_cf034548.jpg

© MFA

Kino: "Durst": Liebe geht durch den Hals

Der Priester als Vampir: Park Chan-wooks gewaltiges Epos „Durst“ ist Liebesdrama und Blutorgie zugleich.

Christen haben’s gut. Die Hoffnung auf Wiedergeburt ist zwar nicht ihr Ding. Wenn aber das Leben sich neigt, können sie sich, irdisches Wohlverhalten vorausgesetzt, auf ein ewiges Leben im Himmel freuen. Hat man seine Zeit auf Erden dagegen eher böse vertan, bleibt – auch ein Trost – das Wiedersehen in der Hölle.

Pater Sang-hyun, eigentlich Anwärter auf die freundlichere Jenseitshoffnung, ahnt, dass er dereinst in der Hölle wird schmoren müssen. Bei einem Impfstofftest in Afrika zur Bekämpfung eines tückischen Virus hat er sich nach einer – darf man da noch sagen: lebensrettenden? – Transfusion mit Vampirzellen infiziert und lebt seither in Sünde. Seinen Blutdurst, der die Virus-Pusteln wundersam verschwinden lässt, stillt er so restmoralisch wie möglich an Lebensmüden und Komapatienten. Sein mächtiges sexuelles Begehren für Tae-ju, die unglückliche junge Gattin eines Kindheitsfreunds, lässt sich weniger gut kontrollieren: Nach dem gemeinsamen Mord an ihrem Mann und in einem Gefühlsstrudel aus Hassausbrüchen und Selbstvorwürfen erwürgt er sie weinend und trinkt ihr Blut. Worauf auch ihrer Verwandlung zur Vampirin nichts mehr im Wege steht.

Der Film ist Blutorgie und Romanze zugleich

Tae-ju aber ist christlicher Trost in der Sünde nicht beschieden. Schon bei ihrer ersten Begegnung mit Sang-hyun ist sie die Einzige, die nicht betet im Kreise ihrer höchst seltsamen Familie, und als Nichtgläubige hat sie auch ausdrücklich keinerlei Skrupel, den Priester zu verführen. Sie lässt nur das Diesseits gelten. So lange sie mit ihrem Kindskopf von Ehemann im streng geführten Schwiegermutterhaushalt lebt, ist es die Hölle. Als Sanghyun auftaucht, wird es zum Paradies. Und am Ende, als das große Morden zusammen mit dem Geliebten beginnt, ist es beides zugleich. Nachher, ahnt Tae-ju, kommt nichts – ganz einfach, weil nach solch irdischer Himmelshölle nichts mehr kommen kann.

In „Durst“ führt der erfindungswilde und ungeheuer bildmächtige Koreaner Park Chan-wook Motive seiner bisherigen Filme zusammen und geht zugleich weit darüber hinaus. Seiner zwischen 2002 und 2005 entstandenen Rachetrilogie („Sympathy for Mr. Vengeance“, „Oldboy“, „Lady Vengeance“) entlehnt er die Orgien aus Blut und Gewalt, der verspielte „I’m a Cyborg, but that’s OK“ (2006) liefert die so anrührende wie absonderliche Romanze zweier Außenseiter. „Durst“ aber will mehr: Was als fundamentaler moralischer Konflikt eines stets zum Guten entschlossenen Geistlichen anhebt und bald ins albtraumhafte Szenario eines Horrormovies hinüberdriftet, funktioniert am eindrücklichsten als Liebesgeschichte.

Wie eine wilde Fahrt im Kettenkarussell

In drei atemberaubenden Sexszenen dieses ohnehin extrem körperlichen Films kulminiert das Liebesdrama, und sie brennen sich sogleich als Szenen äußerster seelischer Verausgabung ins Gedächtnis. Zuerst, im Winkel eines abendlich geschlossenen Ladens, ist der schüchterne Pater der Überfallene, den die Verliebte keck und zärtlich in Besitz nimmt. Im Klinikzimmer des Komapatienten, der Sang-hyun als Nahrungsquelle dient, feiern sich die Liebenden endlich rauschhaft, und doch scheint ihre Atemlosigkeit schon von späterer Verzweiflung zu ahnen. Das dritte Mal – es ist in der Wohnung über dem Laden, der sich bald in die gespenstische Heimstatt des Vampirpärchens verwandelt – gehört der nackten Farce: Zwischen die Kopulierenden schiebt sich, als beider Horrorvision, der aufgedunsene Körper des im Stausee ertränkten Ehemanns. Begehren, Erfüllung, Obsession und Wahn sind die Stationen dieser rasanten Gefühlsreise, und ihre Summe heißt doch: Liebe.

Der koreanische Star Song Kang-ho spielt diesen gefühlsverwirrten und lebensverirrten Geistlichen als zuinnerst Sanftmütigen, der das qualvolle Bewusstsein für sein irreversibel verwandeltes Sein stets bewahrt. Kim Ok-vin dagegen gibt auch die Vampirin mit demselben Lebensdurst, den schon die endlich befreite Liebe zu Sang-hyun in ihr auslöste. Das Fliegenkönnen, die unheimliche Kraft, die verrückte Unsterblichkeit ihres Untoten-Daseins: Tae-ju bejubelt das alles wie eine wilde Fahrt im Kettenkarussell, fast bis zum grausig schönen Ende. Da mag der Geliebte noch so sehr im Kerker seiner Schuldgefühle leiden.

Nie ein Schock um des Schocks willen

Auch die Kamera (Chung Chung-hoon fotografierte bereits drei Filme des Regisseurs) kriecht und schwebt und fliegt schwindelerregend mit in dieser Fantasiewelt, und in ihren blutigsten Momenten spielt sie, schöner Hohn, Gottes Auge. Und blickt ohne Erbarmen auf das mordlustige und liebeszitternde Jammertal, in dem sich Sang-hyun und Tae-ju einrichten: Wer in der Nacht zu leben gezwungen ist und doch auf die Welt der Anderen nicht verzichten mag, weißelt die hässlichbraunen Wände und stellt eine Kamera ins Fenster, deren Tagbilder und -geräusche auf dem Fernseher laufen. Ein Klinik-Interieur unter Neonröhren, ein Horror, ein Gespensterleben. Nur das Blut der Opfer, das ist echt.

Und trotzdem: All das ist auszuhalten. So wie das Trauma der körperlichen Veränderung erst langsam einsickert in den Selbstbegriff des Helden und auch die Vampirisierung Tae-jus eher ein aus Liebe und Verzweiflung genährter Sehnsuchtsprozess ist denn eine Initiation, so gehorcht in „Durst“ nur wenig der bloßen Genremaschine. Nie setzt Park Chan-wook den Schock um des Schocks willen, sondern das Paralleluniversum dieses faszinierenden Films gründet stets auf den Gesetzen der Folgerichtigkeit. Als erwachte auch der Zuschauer mit den verlorenen Figuren in einen bösen Albtraum hinein, aus dem kein lieber Gott der Welt einem heraushilft – einen Albtraum, den man Wirklichkeit nennt.

- Filmkunst 66 und Xenon; Central und Eiszeit (jeweils OmU)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false