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© Zorro Film

Kino: "Es kommt der Tag": Die Terroristin in mir

Viel deutsche Zeitgeschichte haben Iris Berben und Katharina Schüttler in „Es kommt der Tag“ zu bewältigen. Der Film erzählt die Geschichte einer Biederfrau, die mühselig versucht, ihr altes Leben als Terroristin zu verscharren.

Biederfrau und die Brandstifterin, ja, so könnte man die Geschichte zu erzählen beginnen. Hier Judith Muller (auszusprechen: Jüdit Müllähr), verheiratet mit Jean-Marc Muller, der im Elsässischen das idyllische, vom Vater übernommene Weingut „Muller & Fils“ betreibt, und dazu gibt es beider allerliebst pubertierende Kinder Francine und Lucas. Dort diese seltsame junge Frau aus Deutschland, die nach einem Blechschaden mit ihrem Golf im Gutshof vorfährt, eine Nacht und dann noch eine in der urigen Mansarde verbringt, die die Mullers eigentlich nur sommers vermieten, diese Frau, die sich beunruhigend erobernd mit Francine und Lucas anfreundet, grenzüberschreitend, von einer ungeheuren Kraft getrieben, ja, irgendwie böse.

Nur ist die Biederfrau, der Zuschauer erfährt es früh, nicht nur die so tüchtige wie sanfte wie unergründlich lebenserschöpfte Kleinunternehmersgattin und Mutter, sondern sie verbirgt im nahen Deutschland ein anderes, mühselig verscharrtes Leben: Vor 30 Jahren hatte sich die Terroristin Jutta Bergmann nach einem Banküberfall, bei dem ein Zufallszeuge erschossen wurde, nach Frankreich abgesetzt, bei der Weinlese verdingt und neu angefangen. Aber kann man neu anfangen, wenn man solch eine Vergangenheit auf dem Gewissen hat – und die eigene Tochter Alice weggegeben und nahezu aus dem Gedächtnis gelöscht, die Tochter, die da plötzlich wieder auftaucht als fanatische Wahrheitssucherin und die neue Familie und das hingezimmerte Restleben zu zerstören droht?

Hier die Muttertäterin, die sich ins Opfer verwandelt, dort die verlassene, der politkriminellen Karriere geopferte Tochter, die in die Rolle der rächenden Täterin schlüpft: Viel bundesdeutsche Zeitgeschichte haben die Schauspielerinnen Iris Berben und Katharina Schüttler in Susanne Schneiders Kino-Debüt „Es kommt der Tag“ zu bewältigen, viel Umwandlungsarbeit des Politischen ins Private, allerhand konfrontative Dialoge auch – jede Menge eigentlich raschelndes Drehbuchpapier. Aber eine Zeitlang machen die beiden, unterstützt durch die fein gesetzte Kamera (Jens Harant), subtil zurückhaltende Musik (Andreas Schäfer, Biber Gullatz) und eine Montage (Jens Klüber), die Aufregungen wie Auslassungen vorzüglich zu kombinieren weiß, das Allerbeste draus: ein Duell, das nicht lange auf Regeln beharrt, ein schmerzhaftes Duett, das beider Ähnlichkeiten in der Härte und im Verletzlichen herauskehrt, schließlich das unabwendbare Drama. Denn mit einer Lebenslüge lässt sich nicht wirklich leben, mit der Wahrheit allerdings noch viel weniger.

Und doch, irgendwas macht, dass die inspirierende filmische Konstellation unmerklich anfällig wird für das seifenopernhafte Dauertremolo, mit dem gemeinhin das Fernsehen sein dauerfremdgängerisches Publikum zu fesseln sucht. Sind es die „Warum ist das plötzlich so wichtig für dich, so verdammt wichtig?“-Sätze, die ganz gegen die fesselnde Anfangslakonie langsam überhand nehmen, sind es die Tränen, die bald dem gesamten Personal unerbittlich in den Augen stehen? Sind es die humoristischen Ausfallschritte – etwa beim überlangen Großelternbesuch –, mit denen die Drehbuchautorin und Regisseurin offenbar der Wucht ihrer Geschichte misstraut? Ist es das Bedürfnis, der säuberlich aufgestellten und bald immer ruppiger demontierten Familie bis ins letzte Konfliktaushäkeln gerecht zu werden – der rührenden Hoffnung folgend, die Patience des Lebens könnte doch irgendwie aufgehen, wenigstens im Kino?

Aber ja, alles das. Das Hauptproblem aber des insgesamt achtbaren Unterfangens ist die Tour de Force der Protagonistinnen selbst, die ein schmerzhaftes Ungleichgewicht offenbart. TV-Serienstar Iris Berben stürzt sich anregend ins ungeschminkt Seelenzernutzte ihrer Rolle, gerät aber bald an ihre Grenzen, als das Mutter-Tochter-Drama und vor allem der Blick in den eigenen Zerrspiegel ihr immer mehr abverlangt. Katharina Schüttler dagegen ist ein energetisches Geschoss: Gerade im Untertourigen, im Leisen, im fast Erstickten auch des maßlosesten Vorwurfs entfaltet ihr Spiel unwiderstehliche Faszination, im mimischen Wechsel zwischen Liebeshunger, Verlorenheit und Kälte, im minimalistischen Beben des Körpers auch, in dem der Terror des Ungeliebtseins tobt. Was für ein Fest, dieser Schauspielerin bei ihrer Arbeit zuzusehen; zu groß für diesen Film.

Babylon Mitte, Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmkunst 66, Kulturbrauerei

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