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© dpa

Kino: Leiden üben

„The Dust of Time“ des griechischen Regisseurs Theo Angelopoulos zeigt wunderbare Schauspieler mit großer Begabung zum Leiden, insbesondere Bruno Ganz, und ansonsten von allem etwas zu viel.

Nur wenn er im Auto eines Freundes sitzt, aus dem Fenster schaut und beide nicht reden müssen, findet er Ruhe und Seelenfrieden, bekannte der große alte Mann des europäischen Autorenfilms, der Grieche Theo Angelopoulos. Auf solchen Fahrten steigen mitunter auch die Bilder seiner Filme auf, Angelopoulos-Urbilder gleichsam, fast fertig, mit Silhouetten, Farbe und Stil, ästhetischer Balance. So sagt es der Regisseur.

Vielleicht sah Angelopoulos für „The Dust of Time“, den zweiten Teil einer Trilogie, die 2004 mit „Die Erde weint“ begann, ein Stalin-Denkmal und davor die kleine alte russische Straßenbahn, die plötzlich auf offener Strecke hält. Obwohl sie doch ein wenig wirkte wie geradewegs aus der Schlusssequenz von Nikita Michalkows „Sklavin der Liebe“ ausgeliehen. Oder denken wir an Angelopoulos’ schöne Holztreppen in die Unendlichkeit eines russischen Arbeitslagers, in das die Griechin Eleni (Irène Jacob) bald verschleppt wird – von der Straßenbahn aus. Gulag-Ästhetik. Und etwas später Ende-des-Personenkults-Ästhetik mit lauter frisch entsorgten Stalinbüsten.

Nur das Brandenburger Tor, durch das irgendwann Irène Jacob, Michel Piccoli und Bruno Ganz laufen, das kann Angelopoulos unmöglich beim Autofahren gesehen haben. Solche Touristenbilder sieht kein Mensch im Auto-Traum. Auch nicht die Tanz-Szene im S-Bahnhof. Angelopoulos scheint sehr mit dem Berliner Nahverkehr zu sympathisieren. Der hat das nicht verdient.

Und sonst? Wunderbare Schauspieler mit großer Begabung zum Leiden, insbesondere Bruno Ganz und Willem Dafoe. Sie leiden an sich, am verloren gehenden oder wiedergefundenen Nächsten, am Exil – ist nicht jeder im Exil auf Erden, selbst wenn er zu Hause ist? Vor allem aber leiden sie am Jahrhundert, dem bereits vergangenen sowie an der metaphysischen Verfasstheit des Menschlichen überhaupt, ein Stück Vergänglichkeit mit Ewigkeitskern zu sein.

Nicht, dass man ausgerechnet von Angelopoulos erwarten würde, dass er erklärt, wie die junge Griechin Eleni (Irène Jacob) einst in die Sowjetunion kam. Und ihr Freund Spyros nach Amerika, und beider Sohn A. (Willem Dafoe) zuletzt nach Rom, Berlin usw..

Was soll man dazu sagen? Vor allem eins: Das ist zu viel! Zu viele Zeiten. Zu viele Orte. Zu viele unverbundene Leben. Ein Film wie eine fortgesetzte Behauptung. Es gibt keine reine Abbildbarkeit des Metaphysischen.

- Neue Kant Kinos, Hackesche Höfe (EnglmdtU)

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