zum Hauptinhalt
Punk

© Neue Visionen

Kino: Totgesagte lärmen länger

"3000 Jahre Punk“ und die Schlacht an der Hasenheide: Ein Berliner Filmfest feiert ein zählebiges Phänomen. Zu sehen sind unter anderem Filme von Wolfgang Büld, Trini Trimpop und Julien Temple.

"Hattet ihr jemals das Gefühl, betrogen zu werden?", fragte Johnny Rotten im Januar 1978 von der Bühne herab, warf den Mikrofonständer um und ging. Es sollte sein letztes Konzert als Sänger der Sex Pistols gewesen sein. Was blieb, war ein schaler Nachgeschmack. Und die Frage, ob die Karriere der Sex Pistols samt angeschlossener Jugendbewegung nicht doch bloß eine Inszenierung, ein geschicktes Spiel mit der Ökonomie der Aufmerksamkeit im jugendkulturellen Kontext gewesen war. Fest steht, dass Sex-Pistols-Manager Malcolm McLaren die Band 1975 nach seinen Vorstellungen zusammengesetzt und wohl auch den einen oder anderen Hintergedanken auf die kommerzielle Verwertbarkeit der Sex Pistols verwendet hatte. Im Film "The Great Rock’n’Roll Swindle" von Julien Temple – entstanden nach der zerwürfnisreichen Auflösung der Band – erzählt McLaren gar von einem minutiös geplanten Projekt, das einzig dem Ziel diente, viel Geld zu verdienen.

Das ist nur einer der vielen Widersprüche von Punk, einem Phänomen, das trotzdem 30 Jahre nach der Initialzündung durch die Ramones in den USA und die Sex Pistols in Großbritannien zumindest begrifflich weiterlebt – und beim Berliner Filmfestival "3000 Jahre Punk" nun gar mit einer Retrospektive geehrt wird. Zu sehen sind dort etwa Werke von Trini Trimpop – seines Zeichens Regisseur von Kurzfilmen wie "Die Schlacht an der Hasenheide" und ehemaliger Schlagzeuger der Toten Hosen–, für den Punk zwar nicht tot ist, sicher aber etwas muffig riecht. "Klar, es gibt immer noch Leute, die vor Karstadt abhängen und dich anschnorren, ob du mal ein bisschen Kleingeld hast. Aber das sind Studenten oder Obdachlose mit Hund, die in ihrer selbst geschaffenen Punkwelt leben. Mit dem ursprünglichen Punk-Bild von damals hat das wenig zu tun."

Punk, das war damals Rebellion gegen das Establishment, ohne es besser zu wissen, eine reine Protestbewegung ohne Perspektive. "No Future" also, wie die Sex Pistols per Songtitel den Leitspruch der Bewegung definierten. Die Klamotten mussten zerrissen sein, die Musik laut und simpel und voll in die Fresse. Drei schleißig gespielte Akkorde auf der Gitarre reichten für einen Song, für einen Tritt in den Arsch aller Bands, die in den siebziger Jahren ausschweifende Soli spielten, in artifizieller Selbstverliebtheit badeten und keinen Song vor sechs Minuten beendeten.

Punk-Songs gibt es auch heute noch, allerdings in der weichgespülten Form von Bands wie Green Day oder Sum 41, vollständig eingebettet in die Massenkultur und als gut vermarktbares Genre im alternativen Mainstream. Die Ideologie und die raue, dreckige Ästhetik gingen dabei verloren. Das ist beim Film nicht anders: "Leute Anfang 20 sind teilweise schon geschockt, wenn sie meine Filme von damals sehen. Die können relativ wenig damit anfangen, weil sie von einer anderen Fernsehästhetik geprägt sind", sagt Trimpop, von dessen Werken beim Festival unter anderem die Toten-Hosen-Dokumentation "3 Akkorde für ein Halleluja" zu sehen ist.

Von Punk zu Mainstream

Auch Wolfgang Bülds Dokumentation "Punk in London", eine Mischung aus Konzertmitschnitten und Interviews, sowie sein Spielfilm "Brennende Langeweile" werden gezeigt. Bülds Lebensweg als Regisseur ist geradezu prototypisch für ehemalige Vorreiter der Bewegung: Nach zwei frühen Punkfilmen wechselte der in Lüdenscheid geborene Filmemacher ins Unterhaltungsfach und drehte kommerziell Erfolgreiches wie "Manta, Manta" und "Go Trabi Go".

Auch die Toten Hosen, die Anfang der achtziger Jahre zu den frühen deutschen Punkbands gehörten, fanden sich bald im Mainstream wieder, auf Stadionbühnen und vor Zehntausenden von Fans statt in dreckigen, halbleeren Kellerclubs. Nicht zuletzt deshalb ist Trini Trimpop 1985 als Schlagzeuger und 1992 als Manager der Band ausgestiegen. "Die Richtung hat mir keinen Spaß mehr gemacht. Es wurde plötzlich Big Business, und das ist schnell langweilig, außer man ist nur an Geldanhäufung interessiert."

Die andere Seite, das verkrampfte Festhalten an der Punk-Ideologie, an der prinzipiellen Gegenposition, führte ebenso schnell ins Nichts – warfen sich die vermeintlich echten Punks doch ständig gegenseitig den Ausverkauf vor und entwarfen immer neue Kriterien dafür, was es heißt, Punk zu sein. Dadurch wurde die Bewegung selbst repressiv und ausgrenzend. "Jeder kann sich Punk nennen. Es gibt keine Definition. Es wäre albern zu sagen, der eine ist Punkrock und der andere nicht", weiß Trini Trimpop heute.

Das "3000 Jahre Punk"-Festival konzentriert sich mit seinem Programm auf die Phase vor der großen Richtungslosigkeit, auf die Jahre 1976 bis etwa 1985, in denen die Inhalte der meisten Filme angesiedelt sind. "The Future Is Unwritten" von Julien Temple etwa ist ein einfühlsames Porträt des verstorbenen Clash-Sängers Joe Strummer, eines jener wenigen Punk-Protagonisten, die ihre Scheuklappen früh ablegten und auch andere Einflüsse wie Reggae und Dub zuließen. "Seele brennt" von Christian Beetz beschäftigt sich derweil mit den Einstürzenden Neubauten und dem experimentelleren Zugang der damaligen Berliner Punkszene, während "Sid and Nancy" die fatale Liebesgeschichte zwischen Sex-Pistols-Bassist Sid Vicious und Groupie Nancy Spungen in Spielfilmform mit Gary Oldman in der Hauptrolle erzählt.

"Die Leute, die in der Vergangenheit hängen geblieben sind und immer noch auf Punk machen, haben heute relativ wenig zu sagen", resümiert Trini Trimpop. "Man darf dieser Bewegung schon ein bisschen nachtrauern, aber irgendwann muss man selbst den Arsch hochkriegen. Da darf man nicht alles von früher aufwärmen." Außer vielleicht die alten Filme.

"3000 Jahre Punk", bis 8. August in den Kinos Moviemento und Lichtblick.

Michael Luger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false