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Komödie: Wolke 19

Essen, trinken, lachen: „Ein Festmahl im August“ beglückt als italienische Alterskomödie.

Die zierliche Grazia zum Beispiel: soll partout kein Fleisch essen, aus Gesundheitsgründen, nur gesottenes Gemüse. Und sitzt mit glänzenden Augen am Küchentisch, als Gianni und Tante Maria über die besten Rezepte für ihren durchaus fleischhaltigen Makkaroni-Auflauf diskutieren. Nachts, als alle schlafen, brennt bei Grazia noch Licht: Sie sitzt vergnügt im Bett und futtert die Reste.

Oder die voluminöse Marina, die Diva in der Runde. Okkupiert einfach den Fernseher, schließt sich im Wohnzimmer ein, will nicht am gemeinsamen Abendessen teilnehmen. Während alle anderen in der Küche sind, schleicht sie in Pantoffeln ins Café um die Ecke. Ist doch so ein schöner Abend, wer will denn da zu Hause sitzen bleiben?

Valeria schließlich, die stolze, verarmte Wohnungsbesitzerin, duldet die Invasion nur widerwillig. Und lässt sich dann doch zu einem Friedensangebot herab: Alle Gäste dürfen in ihr Schlafzimmer kommen, zum abendlichen Fernsehgucken. Bald sitzen vier alte Damen vergnügt im Kreis, fachsimpeln über gescheiterte Ehen, Männer im Allgemeinen und Söhne im Besonderen.

Es ist eine höchst besondere AltersWG, die Gianni di Gregorio in „Pranzo di Ferragosto / Ein Festmahl im August“ zeigt. Eine WG auf Zeit, die aus der Not geboren ist und in allgemeiner Freude endet. Denn es ist Feiertag in Italien, Ferragosto, Mariä Himmelfahrt, alle wollen ans Meer, niemand will sich um die alten Damen kümmern. So lädt man die Tanten, Mütter, Schwiegermütter bei Freund Gianni ab, der notorisch pleite ist und ohnehin der pflegebedürftigen Mutter wegen nicht verreisen kann. Der müht sich nun nach Kräften, die eigenwilligen Hausgäste zu befrieden. Viele Gläser Weißwein müssen fließen, bis am Ende das Festmahl steht.

Es ist ein außergewöhnlicher Film, dieser kleine 75-Minüter über vier neunzigjährige Damen, der in Italien zum Überraschungserfolg wurde und nun sogar international ins Kino kommt – so urrömisch, wie er ist. Doch nicht nur die Story ist märchenhaft, das Entstehen des Films ist es auch. Es ist das Regiedebüt eines schon mittelalten Italieners, der sich jahrzehntelang als Regieassistent und Drehbuchautor durchgeschlagen hatte – immerhin auch für Matteo Garrone, an dessen Erfolg „Gomorrha“ er mitschrieb. Garrone hat dafür die Produktion von „Pranzo di Ferragosto“ übernommen.

Zehn Jahre lang hatte di Gregorio für sein Projekt geworben, alle Produzenten hatten abgewinkt. Und weil das Geld so knapp und die Finanzierung so schwierig war, übernahm der Mittfünfziger dann gleich noch die Hauptrolle, Freunde aus Jugendzeiten wirken als Nebendarsteller mit, und das Lady-Quartett setzt sich aus einer real existierenden Tante di Gregorios, deren Freundin sowie zwei Bewohnerinnen eines römischen Altersheims zusammen. Auch Gianni hatte sich jahrelang um seine Mutter gekümmert – und der Vorschlag, doch über einen Feiertag noch eine ältere Dame aufzunehmen, kam vor Jahren tatsächlich einmal, vom Hausverwalter. Er hat damals abgelehnt.

Italien und die Mütter, das ist ein Klassiker. Doch die Frage, wie gehen wir mit den alten Verwandten um, mit ihrer Einsamkeit, ihrem Aufmerksamkeitsbedürfnis, sie stellt sich überall in unseren Zivilisationsgesellschaften. In Italien rebellieren die Alten, wenn sie ins Altersheim sollen, erzählt di Gregorio im Gespräch. Anderswo ist das nicht viel anders. So ist „Pranzo di Ferragosto“ vor allem als warmherziges Plädoyer für das Zusammenleben verschiedener Generationen gedacht, dafür, die liebenswürdigen Schrullen der Älteren, ihre Weisheit und Erfahrung als unbedingte Bereicherung des eigenen Lebens zu sehen.Von ihrem inneren Reichtum, ihrer Vitalität, ihrer Stärke schwärmt di Gregorio und berichtet, wie er Tag für Tag Drehbuch und Filmverlauf ändern musste, weil seine selbstbewussten Hauptdarstellerinnen das Heft in die Hand genommen hatten.

Als „Pranzo di Ferragosto“ beim Filmfest von Venedig uraufgeführt wird, in überfüllten Sälen, durchweht kollektive Lebensfreude den Saal. Die vier alten Damen, aufgetakelt und stolz, werden mit Ovationen gefeiert. Vier Monate lief der Film in den italienischen Kinos, die Großeltern kamen mit ihren Enkeln. Vergleichbare Glückserfahrungen hat Andreas Dresen hierzulande mit seinem unlängst beim Deutschen Filmpreis gefeierten „Wolke 9“ gemacht.

„Pranzo di Ferragosto“, autobiografischer, dokumentarischer, improvisierter und charmant unperfekt, kommt deutlich leichter daher – eine Komödie der Unzulänglichkeiten, in der viel getrunken, gut gegessen und reichlich gelacht wird. Und doch spart auch er Bitterkeit nicht aus. Es war nur ein kurzes Glück, und am Ende zeichnet sich ab, dass es Gianni bei aller Fürsorge vor allem ums Geld ging. Der Film lässt das stehen, in aller Härte, während die Ladys noch einmal das Rad der Zeit anhalten. Man hätte ihnen ein ewiges Festmahl gewünscht.

Cinema Paris, Delphi, International, Kulturbrauerei, Yorck, Odeon (OmU)

Christina Tilmann

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