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Angel

© ddp

Kostümfilm "Angel": Das Schlösschen

Die Kunst des Kitschs: François Ozons "Angel" inszeniert nichts als Gefühle – ohne Angst vor Geschmacksrichtern und ganz im Ernst.

"Tropfen auf heiße Steine", "Unter dem Sand", "8 Frauen": Man durfte viel von ihm erwarten, nur nicht, dass er sich wiederholt. Das hat François Ozon, einer der bemerkenswertesten der nicht gar so alten Regisseure Frankreichs, noch nie getan. Schon richtig, stand auf manchen Kritikergesichtern bei der jüngsten Berlinale geschrieben – aber das hätten wir nun wirklich nicht erwartet.

Das kommt jetzt ins Kino. Ein, nun ja, Kostümfilm. Genau das, was manche "großes Gefühlskino" nennen, dabei ist das Wort noch schauerlicher als die Sache selbst. Was meint es? Das natürliche Gegenteil des Verstandeskinos? Schon richtig, es scheint, als hätte François Ozon nun endgültig den Verstand verloren: Denn statt irgendwas zu retten, herunterzuspielen, kleiner zu machen, macht er alles größer. Vor allem: das Gefühl. Mit anderen Worten: "Angel" ist ein ganz außerordentlicher, ein wunderbarer Film.

Jedes Parodistische liegt Ozon fern. Also identifiziert er sich auch rückhaltlos mit dem schlechten Geschmack. Das Unwiderstehliche an Menschen mit schlechtem Geschmack ist, dass sie nie auf die Idee kommen, sie könnten einen haben. Wem sonst ist solche Selbstsicherheit verliehen? Die Inhaberin des schlechten Geschmacks heißt Angel, sie wohnt am Ende des 19. Jahrhunderts in Norley. Ein Name, so nichtssagend wie ihre kleine Stadt selbst. Wie das armselige kleine Lebensmittelgeschäft ihrer Mutter. Sollte ein Leben nicht grundsätzlich größer sein als ein Lebensmittelgeschäft? Sollte es nicht mindestens so groß sein wie die ganze Welt?

Bildsprache des Groschenromans

Nur ein einziger Ort hier spricht zu Angel Deverell: "Paradise House" – ein kleiner Park mit Springbrunnen, ein paar Pfauen, dahinter eine schöne Fin-de-siècle-Villa, fast schon ein Schloss. Es ist jene Welt, die sie nie betreten wird, es sei denn als Dienstbotin. Es ist die Welt, aus der Angels Träume sind, weshalb ihre Romane Titel tragen werden wie "Schmetterlinge sterben nicht", "Drama in Delphi" oder "Herzen in Venedig". Das ist wunderbar. Das ist sublim. Ozon nimmt dieses Mädchen so ernst, als verfilme er das Leben Shakespeares oder Lord Byrons. Verräterisch sind nur die Details, etwa dass das Noch-Schulmädchen Angel nicht bloß ein Manuskript zum Verleger nach London schickt, sondern gleich drei. Und der ahnt auch, dass die Träume sich ändern wie die Welt und ein Massenpublikum im neuen Massenzeitalter Massenträume träumt.

Angel Deverell dagegen besitzt die Unbedingtheit und die Kraft der großen Einzelnen. Sie verhält sich, wie jedes Genie sich verhalten sollte: als wäre sie ganz allein auf der Welt. Ihr historisches Vorbild ist die Lieblingsschriftstellerin von Queen Victoria – aber mit jener Marie Corelli, Zeitgenossin Oscar Wildes, teilt Angel nicht viel. Marie Corelli hatte keinen Mann und war nicht einen Tag ihres Lebens so schön. Romola Garai gibt ihrer Angel außerdem eine unwiderstehliche Arroganz, die besonders die Dienstboten des Lebens zu spüren bekommen. Also ihre Mutter und eine Tante.

Der größte Fehler von Kitschromanen und Kitschfilmen besteht darin, dass sie nicht lustig sind. "Angel" ist es durch seinen bedingungslosen Ernst, vom Regenbogen über Angels erstem Kuss einmal abgesehen. Ozons Bildsprache hat sich schon immer seinen Gegenständen anverwandelt, anstatt sich über sie zu erheben. Und die angemessene Bildsprache eines Films über Angel Deverell ist nun mal die des Groschenromans.

Wie auch ihre Romane wird der Film zum Ende hin etwas lang. Aber vorn ist er ungemein kurz, ungefähr bis zu der Stelle, als Angel zu ihrem Mann (eine Art später Van Gogh, und genauso unglücklich) sagt: Du könntest meine Pfauen malen! Natürlich Pfauen: die kitschigsten Exemplare seit der Erfindung der Vögel.

Kant, Kulturbrauerei; Babylon Kreuzberg (OmenglU), Cinema Paris, Hackesche Höfe (jeweils OmU)

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