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Kritik: Wer liest, der liebt

Der Analphabet und die Greisin: „Das Labyrinth der Wörter“ zeigt eine ganz und gar ungewöhnliche Romanze.

Als Gérard Depardieu zur Eröffnung der französischen Filmwoche im Dezember in Berlin die Bühne des Cinema Paris betrat, da war das mehrheitlich französische Publikum außer Rand und Band, und der Jubel um den mächtigen Mann wollte kein Ende nehmen. Als Nicht-Franzose fragte man sich da schon, ob tatsächlich seine Schauspielkunst diese Begeisterung rechtfertigt, seine exzessive Lebensweise, seine Erfolge als Winzer – oder alles zusammen, was hieße, dass der 62-Jährige inzwischen den Status einer nationalen Kultfigur erreicht hätte und einfach tun kann, was er will.

Über 180 Filme hat Depardieu seit seinen Anfängen in den frühen siebziger Jahren gedreht, das heißt vier bis fünf pro Jahr. Allein der Fleiß des Mannes ist beeindruckend. Dass er bei diesem Pensum zum Routinier geworden ist, der gekonnt herunterspielt, was von ihm verlangt wird, und dass dabei nicht immer große Schauspielkunst herauskommt, ist kein Wunder. Eher verblüfft wohl, dass man Depardieu trotzdem immer noch folgen mag, auch in seinem neuen Film „Das Labyrinth der Wörter“.

Darin ist er ein in seiner provinziellen Heimat wohlgelittener Hohlkopf (so der französische Titel: „La tête en friche“, nach dem Roman von Marie-Sabine Roger), der zwischen verrückter Mutter, handfester Busfahrer-Freundin und den Kumpanen aus dem Bistro sein erträgliches Leben führt. Da mag es auch als geringfügiges Manko erscheinen, dass Germain nie richtig lesen gelernt hat und deshalb gelegentlich von seinen Kumpels aufgezogen wird. Eines Tages aber trifft er die hochbetagte, vor lauter Altsein ganz klein und dünn gewordene ehemalige Lehrerin Margueritte (Gisèle Casadesus) im Park, und sie beginnt, ihm vorzulesen.

Eine Art Liebes- und Entwicklungsgeschichte fängt an, die umso rührender wird, als Margueritte ihrem Schüler eröffnet, dass sie immer schlechter sehen kann und bald auch nicht mehr in der Lage sein wird, selbstständig in der Seniorenresidenz zu leben, wo sie es gut hat. Erwartungsgemäß kommt es aber nicht zum Schlimmsten.

Es ist ein wenig schade, dass „Das Labyrinth der Wörter“ nicht viel mehr vorzuführen und auszuloten hat als die physischen Eigenarten des riesigen, nicht mehr jungen Mannes und der winzigen Greisin. Auch ist spätestens seit „Dialog mit meinem Gärtner“ (2007) bekannt, dass es dem Regisseur Jean Becker offenkundig eher um die Darstellung sozialer Gegensätze zu tun ist als um Experimente auf der visuellen Ebene.

Aber müssen es immer wieder die gleichen derben, aber gutherzigen Kerle sein, vorzugsweise im Bistro und mit der Wirtin scherzend? Die dann auch mal einen über den Durst trinken und einander in jeder Notlage beistehen? Und muss das Sonnenlicht über dem idyllischen Städtchen immer milde und herbstlich sein? Auch Depardieu spielt das Klischee des weichen Kerls in rauer Schale, täppisch und ein wenig läppisch. Das offenbar ist sein neueres Markenzeichen – auch in der unlängst angelaufenen Martin-Suter-Adaption „Small World“, in der er einen Alzheimer-Patienten verkörpert.

Es ist wohl jener Widerspruch zwischen Depardieus Physis und dem sanften Gemüt seiner Filmfiguren, der Frauen, die auf Mannsbilder stehen, so ins Schwärmen bringt. In einer seiner besten Rollen ist er Haudegen und Schöngeist zugleich: 1989 besetzte ihn Jean-Paul Rappenau in der Titelrolle von „Cyrano de Bergerac“, und Depardieu bewies, was ihn ihm steckt: ein großer Schauspieler.

Blauer Stern Pankow, Broadway, Capitol, Cinemaxx, FT Friedrichshain, Kulturbrauerei und Passage; OmU im Central und Cinema Paris

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