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45 Minuten allein mit dem Meister: Kurze Freude, lange Schmach

Im Dezember 1994 hat Gregor Dotzauer 45 Minuten seines Lebens allein mit Woody Allen in einer Suite des Hamburger Hotels Atlantic parliert. Ein unvergessliches Erlebnis.

Von Gregor Dotzauer

Rein statistisch hat jeder Kinobegeisterte, der mit dem feuilletonistischen Kanon des späten 20. Jahrhunderts aufgewachsen ist, mindestens drei Tage mit den Filmen von Woody Allen verbracht. Doch nur ein halbes Dutzend Privilegierter könnte sich rühmen: Im Dezember 1994 habe ich 45 Minuten meines Lebens allein mit dem Meister in einer Suite des Hamburger Hotels Atlantic parliert. Allen, für Interviews deutscher Journalisten bis dahin fast unzugänglich, hatte gerade die unabhängige Produktionsfirma Sweetland Films gegründet. Für die PR zu „Bullets Over Broadway“ musste er sich also selber knechten; der Erfolg dieser in den zwanziger Jahren angesiedelten Komödie lag ihm nicht nur am Herzen, sondern auch auf der Brieftasche.

In tagelanger Arbeit hatten wir uns mit originellen Fragen gewappnet, um Woody, der mit seinem Tross im Privatflugzeug aus Sizilien angereist kam, auf keinen Fall zu enttäuschen. Wir hatten in unserem Englisch wie in Drachenblut gebadet. Und wir hatten uns mit Kaffee bis unter die Schädeldecke hochgeputscht. Auf uns ruhte das Schicksal dieser Welt.

Mit ehrfürchtigem Schwindel betraten wir Allens Suite zur Soloaudienz, hielten uns zitternd an einem Glas Mineralwasser fest und schwebten nach einer Dreiviertelstunde, zu Gesprächen mit noch höheren Göttern geboren, selig lächelnd in den Hamburger Äther hinaus. Woody war der offenste, konzentrierteste und bereitwilligste Gesprächspartner, den man sich vorstellen kann. Wir redeten über Kunst und Common Sense, die anthropologische Bedeutung von Illusionen und über den Niedergang des Kinos im Zeitalter des Videos. Mit seiner Cordhose, dem Hemd und dem Wollpullover sah er genau so aus, wie er aussehen musste: klein, zart, zerknautscht und ein bisschen traurig. Seine ganze Fröhlichkeit hatte er mit unendlicher Großmut uns überlassen.

Beim Transkribieren das Erwachen: Kaum eine Antwort passte zu den Fragen. Er hatte nur erzählt, was er erzählen wollte. Das zweite Erwachen kam beim Lesen der anderen Gespräche: Er hatte uns allen das gleiche Interview gegeben. Hatten wir jemals zuvor einen so unschuldig wirkenden Profi erlebt? Das alles ist lange her. Aber die kurze Freude und die lange Schmach dieser knappen Stunde mit Woody hat keiner von uns vergessen. Deshalb taten wir alle einen heiligen Schwur: Wir werden, was sich damals abspielte, nie auch nur einer einzigen Menschenseele verraten.

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