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God man dog Interfilm

© promo

Kurzfilmfest: Die Einsamkeit der Massen

Von wegen Krise: Asiens Kino auf dem Festival von Pusan – und beim Interfilm-Kurzfilmfest in Berlin.

Ist er nicht toll? Das Schulmädchen schwärmt für den Wrestling-Star und will unbedingt am Cheerleader-Wettbewerb teilnehmen. Es ist ein hysterisches Schmachten, ein Gefühlsüberschwang in knallbunten Farben. „Young Gil’s Angels“: Der Kurzfilm aus Südkorea ist heute beim Berliner Interfilmfestival im Babylon-Mitte zu sehen.

Auf dem Filmfest Pusan, dem weltweit wichtigsten Festival fürs asiatische Kino, begegnet man den Mädchen in Schuluniform auf Schritt und Tritt. In der südkoreanischen Hafenstadt säumt ihr enthusiastisches Kreischen die allabendlichen roten Teppiche, sie stellen den Großteil der über 800 freiwilligen Festivalhelfer und begegnen dem Gast aus Europa mit überschwänglicher Freundlichkeit und ebenso beeindruckender Ineffizienz, sind sie doch mit fast jeder Bitte um Auskunft überfordert. Ist er nicht toll? Auf der Rolltreppe zum Multiplex-Festivalkino belagern die Girlies selbst Volker Schlöndorff, soll dieser drahtige ältere Herr aus Deutschland doch ziemlich berühmt sein.

Aber die Engel in Uniform sind auch erschöpft, in „Young Gil’s Angels“ genauso wie im Interfilm-Beitrag „Blood is thicker than water“, einem 18-minütigen Psychotrip. Oder im Straßenbild von Pusan. Sie schlafen im Stehen, im Fahrstuhl, in der U-Bahn, über Schulbüchern und Computer-Tastaturen, ihr Handy-Klingelton ist ein krähender Hahn. Alleingelassen von ebenso erschöpften Erwachsenen, spielen sie vor lauter Versagensangst mit Selbstmordgedanken oder verweigern den Ausbildungsdruck und geistern als Großstadtgespenster zwischen den Mietskasernen herum.

Die verlassene Jugend kennt man auch aus dem Gegenwartskino der westlichen Welt. Aber es sind so unendlich viel mehr in Südostasien, auch der Druck ist erheblich höher. Wegen der Bevölkerungsexplosion in Metropolen wie Seoul oder Pusan, wegen der Migrantenströme und der kaum vorstellbaren Mühe, die der Arbeitsalltag auch die Bewohner von Tokio, Peking oder Kuala Lumpur kosten muss.

Davon erzählen die asiatischen Autorenfilme, die die Wettbewerbsreihe von Pusan im Oktober präsentierte: wie Familien vor lauter Maloche und Schulden zerbrechen und welche Einsamkeit in den Menschenmassen Asiens lauert. In „Flower in the Pocket“ aus Malaysia versorgen zwei kleine Brüder sich selbst, bis der überforderte Vater ihnen wenigstens Trockenschwimmen beibringt: ein zauberhaftes, urkomisches Poem über eine ertrotzte Kindheit. Im japanischen Film „Asyl“ zählt eine verstörte Ehefrau beim Walken durch Tokio jahrelang akribisch ihre Schritte, bis sie an die ebenso verstörte Besitzerin eines Stundenhotels gerät, deren Etablissement zum Refugium für Traumatisierte und Träumerinnen wird. Und im philippinischen Ghetto- Film „Tribe“ über einen Bandenkrieg in den Slums von Manila bleibt der einzige Zusammenhalt der Jungs die Straßengang.

Deutschland, Korea. 18 Stunden dauert der Flug von Berlin nach Pusan, eine halbe Weltreise. Aber was ist das schon. Während dieser Tage eine koreanische Künstlerin mit einer Lichtskulptur- Mauer vor dem Brandenburger Tor an die Gemeinsamkeiten der Teilung erinnert, tauscht man beim deutschen Empfang in Pusan Infos über Drehmöglichkeiten in Pjöngjang aus. Achse des Bösen? Gerade erst haben die Präsidenten von Nord- und Südkorea einander beim Gipfeltreffen Friedensbemühenszusagen erteilt; Nordkorea baut fleißig seine Atomanlagen ab. Und in Pusan lehnt am Sponsoren-BMW in der Hotellobby ein Südkoreaner, der mit leuchtenden Augen für seine Idee einer koreanischen Version von „Das Leben der Anderen“ wirbt. Ulrich Mühes Stasi-Spitzel, ein Nordkoreaner.

Europa und Asien – wie sich die Bilder gleichen. Zwar ist der überhitzte Filmmarkt des Kontinents eingebrochen (wobei der einheimische Marktanteil in Korea immer noch astronomische 68,5 Prozent beträgt). Aber Volker Schlöndorff sieht sich in Pusan an die wilden Zeiten von Cannes erinnert, als Europas Autorenfilmer gemeinsam den Aufbruch probten. Auch die asiatischen Independents animieren einander zu mehr Kooperation. Zumindest im Kino ist die disparate Region längst vereint, in Filmen voller Sinnbilder für die überbordende Energie und den elenden Überlebenskampf in den Megacitys wie in den verarmten Provinzen.

Berührendstes Beispiel: die zarte, tragische Liebesgeschichte in „A Wonderful Town“ aus Thailand – Stillleben einer Katastrophe in einer vom Tsunami zerstörten, schockstarren Küstenstadt. In „God Man Dog“ aus Taiwan kümmert sich ein einbeiniger Alter um streunende Hunde und obdachlose Buddha-Statuen, während ein bettelarmer Obsthändler seine Trunksucht mit christlicher Frömmigkeit zu bekämpfen versucht. Noch die Geschichten von der Fundamentalisierung der Religionen, vom Clash der Mystik mit dem Materialismus ähneln einander. Magischer Realismus, Actionkino, Allegorie, Komödie und die schnelle DV-Kamera, die die Zensur unterläuft: Auch den Mut zur Stil- und Genremischung teilen die jungen Asiaten.

„Tribe“-Regisseur Jim Libiran hat es dennoch nicht leicht in Pusan. Philippinen gelten als Underdogs in Südkorea; bei der Asian Film Party verwehren ihm die Türsteher den Einlass. Libiran ficht das nicht an: „Wir Asiaten sind der kleine Mann in der Welt“, lacht er, „uns verbinden die Armut und der Kolonialismus, aber auch unsere Lebenslust, unsere verrückten, mystischen Religionen und die Liebe zum Feiern, obwohl unsere Gesellschaften schrecklich formell sind. Wir lieben die Sonne. Es ist blöd, sich an einem sonnigen Tag schlecht zu benehmen. Das verrückte, lächelnde, philosophische Asien – das ist unsere Stärke.“

Trotzdem, fügt der Regisseur hinzu, sei man weit davon entfernt, nach Art der EU eine asiatische Union zu bilden. Vorantreiben werden eine solche Union nicht die Politiker, sondern die Künstler, die Filmemacher. In Pusan kann man diese Utopie in Augenschein nehmen. Und auch im Südkorea-Programm des Berliner Interfilmfestivals blitzt sie auf. Nicht verpassen: den rappenden Greis im Animationsfilm „Hey There“!

Infos: www.interfilm.de

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