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© Central

Literaturverfilmung: Hoch elegant: Der Film "A Single Man" feiert das Leben

Für sein Regiedebüt hätte Tom Ford, Designer bei Gucci und Yves Saint-Laurent, sich wahrlich einen einfacheren Stoff als den Isherwood-Roman "A Single Man" aussuchen können. Doch der Film mit Colin Firth überzeugt.

Für George Falconer endete das Leben vor acht Monaten. Ein Anruf riss ihn aus einem 16 Jahre währenden Glück: Sein langjähriger Lebensgefährte Jim (Matthew Goode), mit dem der britische Literaturprofessor zurückgezogen in einem Bungalow bei Los Angeles wohnte, war mit dem Auto in den Tod gerast. Acht Monate lebte Falconer (Colin Firth) seither weltabweisend und wie in Trance, seine Routinen erledigend, Tag für Tag, gründlich aber geistesabwesend, während die Welt sich am Vorabend eines Atomkrieges wähnt. Heute allerdings wird der Tag ein anderer. Sein letzter.

Kann ein Film über den letzten Tag eines zum Freitod Entschlossenen lebensbejahend sein? Er kann. 1964 veröffentlichte Christopher Isherwood seinen Roman „A Single Man“ über einen Tag im Leben des George Falconer, ein Buch nicht über den Tod, sondern über die Schönheit des Lebens – und dass man diese Schönheit erst ganz spürt, wenn es weh tut, weil man selbst nicht mehr teil daran hat.

Für sein lange geplantes Regiedebüt hätte Tom Ford, einflussreicher Designer bei Gucci und Yves Saint-Laurent, sich wahrlich einen einfacheren Stoff aussuchen können. Doch es ist eine bestechende Wahl. Denn an seinem letzten Tag versenkt sich Falconer in die Welt. Er sieht, hört, riecht, nimmt wahr, wie er es in den letzten Monaten, vielleicht in seinem ganzen Leben nicht getan hat. Tom Fords über die Jahre im Mode- und Markengeschäft perfektioniertes Handwerk, das kunstvolle In-Szene-Setzen schöner Dinge: Hier kann er es ganz in den Dienst der Geschichte stellen.

Jedem Ding, jeder Sequenz schenkt er leuchtende Schönheit, sei es in den entsättigten Bildern zu Tagesbeginn oder der schimmernden Stadtluft eines Sommernachmittags in L.A. (vor einem überlebensgroßen Plakat von „Psycho“). Sei es im Dämmerlicht des luxuriösen Hauses von Georges bester Freundin Charley (Julianne Moore) oder dem satt-körnigen Sechziger-Jahre-Technicolor der Szenen am Schluss. Selbst wenn er auf dem Klo hockt, strahlt Colin Firths George eine melancholische Eleganz aus, wie sie viele auf einer Bühne nicht erreichen.

Tom Ford dehnt und rafft die Zeit, verweilt in Augenblicken und Eindrücken, setzt alles so zusammen, dass sich ein fast hypnotischer flow einstellt – getragen von Abel Korzeniowskis herrlicher Orchestermusik und ihren elegischen Anklängen an „Vertigo“ oder „In the Mood for Love“, zwei Filme, denen „A Single Man“ auch sonst in mancher Hinsicht verwandt ist.

Es gibt Szenen, da geht Fords Wille zum Arrangement mit ihm durch. Eine Schwarz-Weiß-Rückblende etwa, Jim und George gemeinsam am Strand, gefällt sich sehr in ihrer Werbeästhetik, fällt aber unschön aus dem Fluss der Bilder heraus. Solche Brüche, wenn das Kunstvolle ins Geschmäcklerische kippt, sind die größte Gefahr des Films. Zum Glück gibt es davon nur wenige, und sie fallen kaum ins Gewicht.

„A Single Man“ erschöpft sich nicht in Stil und Stimmung. So schön die Bilder auch sind, so konzentriert und elegant, ja fast streng ist dieser delikate Film als Ganzes. Jede Begegnung hat ihre Bedeutung, jedes Wort seinen Platz, jede Rückblende ihren Anlass und ihre Bestimmung. Sechs Monate habe man allein mit dem Schneiden des Filmes verbracht, sagt der Regisseur, der auch das Drehbuch schrieb. Man sieht es.

All das wäre allerdings nichts ohne Colin Firth in der Hauptrolle. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe für den unterschätzen britischen Schauspieler: So viele Nuancen kommen in einer Figur zusammen, die doch stets bemüht ist, nichts von sich preiszugeben. Firths Spiel ist präzise und scheinbar anstrengungslos – allein die Szene mit Julianne Moore, eine Nebenhandlung, steht für sich wie ein perfektes Mini-Drama. Für seine Darstellung des George Falconer wurde Firth als bester Hauptdarsteller mit der Coppa Volpi in Venedig und mit einer Oscar-Nominierung belohnt. Ihm ist es zu verdanken, dass dieser Film, der so elegant dahinfließt, im Nachgang eine unerwartete Wucht entfaltet.

Christopher Isherwoods Roman gilt als ein wichtiges Buch der Schwulenbewegung: eine Momentaufnahme aus dem Leben eines Mannes, der viel von sich verbergen, der „hinter dem Vorhang“ leben muss. Tom Ford nimmt diesen Aspekt der Vorlage zurück. Falconers Einsamkeit ist hier vor allem die Einsamkeit eines Menschen, der einen anderen Menschen verloren hat (der Verleih wirbt mit einem leicht irreführenden, im Film eher nebensächlichen Bild von Colin Firth und Julianne Moore).

Und doch: In der paranoiden und minderheitenfeindlichen Atmosphäre der frühen sechziger Jahre kann George Falconer nicht öffentlich trauern, nicht mal zu Jims Beerdigung darf er erscheinen. Abgesehen von seiner langjährigen Freundin Charley, die ihn nicht immer versteht, hat George niemanden, dem er sich offenbaren kann. Also tut er es versteckt, in Andeutungen, gegenüber den Menschen, die er trifft an diesem Tag. Sein Unterricht gerät zu einem flammenden Vortrag über die Natur der Angst und die Einsamkeit der Unsichtbaren. Er trifft die kleine Nachbarstochter in der Bank, genießt mit einem Fremdem eine Zigarette in der flirrenden Spätnachmittagssonne, feiert mit Charley, geht Schwimmen mit einem Studenten, der ihn vor seinem Haus auflauert (Nicholas Hult). Am Ende des Tages, es sind seine letzten Worte, sagt George: „Alles ist genau so, wie es sein soll.“

Wenn sich das Kino, oder die erzählenden Künste überhaupt, mit Trauer oder Einsamkeit auseinandersetzen, dann geschieht das meist auf eine Weise: Schmerz und Glück werden gegeneinander in Kontrast gesetzt. Dabei gehört es doch gerade zu den besonderen Leistungen aller Kunst, dass sie Schmerz und Glück, Vergänglichkeit und Schönheit, gleichzeitig, im selben Augenblick erfahrbar machen kann, wie es etwa Franz Schubert in seiner Musik so einzigartig geglückt ist. Kaum ein anderes Feld ist dafür so geeignet wie der Film. Und doch gelingt es so selten.

Hier nun kommt ein Amateur daher, ein Anfänger, der sein Geld bislang in der oberflächlichsten aller Branchen verdiente. Er gründet von diesem Geld eine eigene Produktionsfirma, vielleicht, weil ihn seine Arbeit längst langweilt, und schafft auf Anhieb dieses Kleinod von einem Film. Es ist ein sensationelles Debüt.

Ab Donnerstag in zehn Berliner Kinos. OmU im Odeon und Hackesche Höfe, OV im Cinestar Sony-Center

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