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Marianne Sägebrecht: „Ich bin eine Wanderbärin“

Marianne Sägebrecht fuhr Cadillac, kennt Zaubertricks und zahlt gerne Kirchensteuer. Und erzählt, warum so viele Menschen sich von ihr umarmen lassen wollen.

Frau Sägebrecht, das sind also die berühmten „Opferlamm-Augen“. So drückte es jedenfalls der Regisseur Percy Adlon aus.

Neulich hat jemand über mich geschrieben: Hundeblick. Das fand ich im ersten Augenblick befremdlich. Dann dachte ich: Es gibt keine schönere Seele als die Hundeseele, von daher…

In Ihrem aktuellen Film ergreifen Sie als freiheitsliebende Großmutter die Flucht, als Ihre Tochter sie ins Altersheim stecken will.

Sie ist in großer Not. Es geht um ihr Überleben in Freiheit. Da würde ich auch flüchten, und zwar sofort.

Es gibt eine Szene, als Ihre Filmtochter Ihnen im Auto von diesen Plänen erzählt, da laufen in Ihrem Gesicht unglaubliche Dinge ab. Wie bereiten Sie sich auf so etwas vor?

Ich lebe meine Rollen. Es hat sehr wehgetan. Bei der Besprechung der Szene hab’ ich schon gesagt: Es wird mir so schmerzhaft sein, dass ich nicht atmen kann. So vieles wird innen ablaufen und sich zu einer Panik steigern. In meiner Gefühlsküche kochte es hoch. Und das sieht man dann halt.

Sie haben die Schauspielerei nie gelernt, und …

… meine empathische Veranlagung und 30 Jahre Berufserfahrung sind ein Schatz. Viele Kollegen sagen, Gefühle vor der Kamera wirklich zu leben, sei gefährlich. Wenn du weinen sollst, weinst du nicht wirklich, sondern wendest dich ab und zuckst halt mit den Schultern. Das stimmt auch zum Teil, aber dann ist die Seele ausgeschlossen – ich kam auch an meine Grenzen. Im „Rosenkrieg“ sollte ich fürchterlich weinen, und die Tränen sind geflossen, geflossen, geflossen. Nach der 24. Einstellung waren aber keine Tränen mehr da. Spannend. Das Gefühl war da, der Schmerz war da. Doch mein Brunnen war leer.

Sie reden ja wirklich wie die Niagarafälle! Das steht in jedem zweiten Artikel über Sie.

Ja? Oft regiert bei Interviews ja nur der 15-Minuten-Takt nach amerikanischem Muster, da muss man schnell und viel reden. Wir haben mehr Zeit.

Alle, die mit Ihnen gearbeitet haben, sagen: Sie hätten eine große Hollywoodkarriere machen können. Warum wollten Sie lieber zurück nach München?

Ich wollte meine Enkelin Alina aufwachsen sehen. Nach dem „Rosenkrieg“-Erfolg hätte ich einen Vertrag unterschreiben können, dass ich für weitere drei Jahre bleiben und für drei bis fünf Nebenrollen zur Verfügung stehe, die ich mir nicht aussuchen kann. Nein. Viele Kollegen sind ja da auch jahrelang am Hollywoodhügel gesessen, und dann kam gar nix. Ich habe mich für Michel Piccoli und „Martha und ich“ entschieden und auf Hollywood verzichtet. Man muss halt abwägen.

Für den „Rosenkrieg“ haben Sie 1989 stolze 80 000 Mark bekommen. Viel Geld.

Viel Geld? Nach Abzug der Abgaben blieb die Hälfte. Aber für mich war’s okay. Ich war total zufrieden. Allein die Begegnung mit Michael Douglas! Der ist reizend, ein großer Teamplayer. Der hat ein Herz wie Gold. Anfangs war er ein bisschen frech, da wollte er wissen, was los ist mit mir, auch sexuell. Dann wurde er immer mehr zum Bruder, das war richtig schön. Stellen Sie sich vor, er hat für das ganze Team ein marokkanisches Fest mit Zelten, Essen und Bauchtänzerinnen ausgerichtet.

Michael Douglas dürfte das finanziell nicht besonders weh getan haben.

Es gibt so viele Leute, die sind reich, und die verschenken gar nichts.

Erkennen Sie sich heute in Ihrer Enkelin wieder?

Ja, wir teilen dasselbe Gerechtigkeitsgefühl. Alina hat in ihrem Gymnasium eine Mediationsgruppe gegründet, ich bin sehr stolz. Außerdem kümmert sie sich um die Menschen, wie ich damals, ist tolerant und integer.

Sie haben sich als Schülerin in einem Krankenhaus engagiert.

Wir hatten in der Gemeinde einen Kaplan, der buddhistisch angehaucht war. Er hat mir vermittelt, wie wichtig das Gebot der Nächstenliebe ist. Weil er es vorgelebt hat, indem er immer zu den Kranken ging. Eines Tages lud er mich ein, mitzukommen. Da kommt sonst niemand, da kommt niemand. Jemand muss doch vorlesen und die Hand halten. Da liegt ein Greis und ist ganz allein.

Hatten Sie …

… mein Deutschlehrer hatte damals eine Theatergruppe und mein Talent entdeckt. Doch ich wollte nichts zu tun haben mit der Kunst. Weil nebenan die Menschen alleine starben.

Hatten Sie Angst, nah bei den Sterbenden zu sein?

Nein. Schon mit fünf Jahren, wenn jemand im Ort starb, bin ich rüber und hab’ die Hand gehalten. Ich wollte mit rübertauchen, ganz sicher sein, dass die Seele des Verstorbenen drüben abgeholt wird, und dann wieder zurück. So hab’ ich mir das vorgestellt. Der Kaplan meinte nur, ich soll mir keine Sorgen machen: „Die werden schon gut abgeholt, du musst nicht mit.“

Sie als bekennende Katholikin: Weihnachten oder Ostern?

Ostern. Auferstehung, ist ja klar. Wenn endlich alles überstanden ist und sich das Wesen auf eine höhere Ebene begeben kann. Ich mag auch die sinnlichen Bräuche der katholischen Kirche: Wenn die Schwämme von den Bäumen gesegnet und angezündet werden, die Eier und Palmkätzchen für die Kinder… Ich zahle gerne Kirchensteuer, für Jugendfreizeiten, die Bahnhofsmission, die Münchner Barmherzigen Brüder und ihr Hospiz.

Frau Sägebrecht, manchmal kommen wildfremde Leute zu Ihnen und wollen, dass Sie sie umarmen. Wundert Sie das?

Nein, wieso? Einmal in Santa Monica, das war nach „Out of Rosenheim“, fuhr ein dicker Schlitten vor. Ich war gerade auf dem Weg zum Strand. Da sprangen fünf junge Leute raus: „Marianna, Marianna, can you give us a big hug?“ Und dann haben wir uns aneinandergehakt und geschaukelt. Zu sechst, alle miteinander.

Oh, es wundert Sie…

… Umarmungen sind das Wichtigste. Mütter machen das mit ihren Kindern, auf den Rücken klopfen, kurz zwischen den Schulterblättern reiben, das ist so gut. Ich wollte ja mit dieser Szene in „Out of Rosenheim“, in der ich mich für ein Gemälde obenrum frei mache, nicht beweisen, wie sexy ich bin. Es war mehr das Gefühl, ich möchte euch alle an die Brust nehmen – ach, mir tun die Babys, die nicht gestillt werden, so leid. Da darf nichts mehr kaputtgehen an der amerikanischen Silikonbrust. In „Rosalie goes Shopping“ hatte ich eine sehr intime Szene mit Brad Davis…

… Frau Säge…

… da meinte die Maskenbildnerin: Ab ins Bad! Es wurde, obwohl schon alles glatt war, rasiert, rasiert, rasiert. Das ist doch furchtbar! Und dann hab’ ich denen zum Spaß gesagt, ich komm’ zurück mit Zwei-Meter-Achselhaaren, das schwöre ich euch! Das müsst ihr aushalten.

Also wundert es Sie nicht, dass die Leute Ihre Nähe suchen?

Wenn man 35 Jahre diese Arbeit macht, weiß man, was man mit Liebe rausgeschickt hat. Ich freue mich, wenn etwas zurückkommt.

Sie sind sogar Ehrenmitglied im „Magic Castle“, einem elitären Zaubererclub in Los Angeles.

Für „Out of Rosenheim“ habe ich ein Jahr Zauberunterricht genommen. Percy hat etwas eigentlich Unmögliches ins Drehbuch geschrieben: Jasmin öffnet ihre Hände, dann greift sie in die Luft und holt nacheinander zwei Toast hervor. Das geht ja gar nicht, mein Magic Trainer ist daher schier ausgerastet vor Ehrgeiz. Die Leute vom „Magic Castle“ kommen mit Hologrammen und lassen alles verschwinden, aber so etwas hatten sie noch nie gesehen. Schon gar nicht von einer Frau.

Können Frauen schlechter zaubern als Männer?

Das Problem ist: Wir sind zu geschwätzig. Man darf die Tricks nicht verraten. Deswegen werden Frauen zersägt und müssen Assistentinnen sein.

Sie kamen aus einer Münchner Dreizimmerwohnung, die Sie mit Ihrer Mutter und Schwester teilten, direkt nach L. A. Ein Lichtschock?

Wenn die große Sonne Richtung Hawaii ins Meer fällt, ja klar. Was ich über alles liebte, war, dort anzukommen. Der erste Weg zum Autoverleih Amos. Ich sagte: „Middleclass car, please.“ Dann hieß es: „Marianna, impossible.“ Und ein weißer Cadillac mit Klappdach wurde vorgefahren. Dann ab auf den Freeway Richtung Santa Barbara.

Klingt nach Klischee.

Gell? So war es aber. Ich hatte schon früh die Sehnsucht nach dem Meer: Ich bin eine Wanderbärin. New York war auch der Wahnsinn. Diese Dimensionen! Ich weiß noch, nachdem ich zum ersten Mal dort gelandet war, war Taxistreik am Flughafen. Statt der echten Taxen kamen die Rip-off-Taxen aus der Bronx. Einer der Betrüger hatte mich schon eingeladen, doch da kamen sieben kleine Japaner, und er warf mich wieder raus. Aber dieser dauernde Lärm, nee. L. A. ist mehr mein Ding.

Dort wohnten Sie im legendären Chateau Marmont, wo James Dean durchs Fenster sprang und Led Zeppelin auf Motorrädern die Lobby durchquerten.

Dort hieß es immer: „Marianna, welcome home.“ Mir rollten gleich die Tränen. Ich wohnte im Bungalow im Garten, das war gerade noch zu bezahlen. Daneben war Belushi, und drüben lief Robert de Niro mit Hausschuhen. Wim Wenders war auch oft da, alle schwammen in einem Pool unter Eukalyptusbäumen. Mei, des war schon schön.

Haben Sie das deswegen so genossen, weil Sie vorher mit Ihrer Mutter, Schwester und später auch Tochter in einer WG lebten?

Jede von uns hatte ein eigenes Zimmer, wir teilten uns eine große Wohnküche. Wir haben super zusammengelebt. Wenn die Dani…

… Ihre Tochter…

… mit ihren Freunden spätnachts aus der Disco heimgekommen ist, haben wir alle zusammen Kaffee getrunken, meine Mutter war auch dabei. Mit ihr hätte ich auch einen Achtquadratmeterraum geteilt. So war die. Als ich zwölf war, bin ich gerne auf unserem Dachfirst spazieren gegangen. Eine Nachbarin hatte das gesehen und lief zu meiner Mutter: „Mei, Agnes, komm’ schnell, die Marianne fällt vom Dach!“ Da ging sie mit der Salatschüssel unter dem Arm vor die Tür, guckte kurz raus und meinte: „Na, die Marianne macht das schon. Die hat ihre Schutzengel.“ Und ging wieder rein. Das ist ein Bonus, der dir den Lebensmut stärkt.

Haben Sie…

… oder einmal, da rief ein schwuler Freund aus New York bei uns an, ich war nicht daheim. Also schüttete er meiner Mutter das Herz aus: „Agnes, mir geht’s gar nicht gut. Ich bin jetzt runter von dem ganzen Zeug. Wenn die Marianne kommen und mir helfen könnte, das wär schön.“ Dann komm’ ich heim, sie sagt: „Du, der Uli aus Neffjork hat angerufen. Du solltest hinfahren, dem geht’s ganz schlecht.“

Wann…

… oder einmal, dafür könnte ich sie heute noch küssen. Jemand sprach sie auf der Straße an, dass ich mit dem berühmten Michael Douglas drehe. „Jaaa“, sagte sie, „die Marianne macht das schon. Der Herr Douglas ist auch nur ein Mensch, eines Tages wird er ein Häuflein Asche sein wie wir alle.“

Seit wann nennt Ihre Tochter Sie „Marianne“?

Da war sie schon zwölf, und ich war oft weg. Eines Tages sagte sie: „Marianne, das ist ungerecht. Dein Zimmer ist viel größer als meins.“ Sage ich, weißt du was, wir switchen einfach. Du gehst rüber. Fortan lebte sie in einem Ladyroom mit weißen Möbeln, und ich im Kinderzimmer.

Ungewöhnlich!

Sie hat davon natürlich in der Schule erzählt. Der Skandal war perfekt, denn die anderen Kinder haben das dann auch von ihren Eltern verlangt. Raus aus dem Schlafzimmer! Daraufhin hat mich der Lehrer einbestellt. Ich als alleinerziehende Mutter – was ich da für Flausen in das Mädel reinsetze.

Sie leben inzwischen alleine in einem Haus in der Nähe des Starnberger Sees.

Bevor ich kam, hieß es: Wenn die jetzt kommt und denkt, sie ist etwas Besonderes, wird sie sich umschauen müssen. Es liegt dann an einem selbst, wie man sich verhält. Man kann nicht einfach kommen und sagen, der Hahn soll nicht mehr krähen. Ich hatte eben keine Lust, mich in ein Ghetto zu setzen, nach München-Grünwald oder so. Ich lebe behütet auf dem Land.

Sie sind jetzt ein Teil der Dorfgemeinschaft?

Wenn ich in die Wirtschaft komme und huste, sagen die: „Komm, setz’ dich, hier hast du eine Decke, du wunderbarer Mensch. Wennst bei uns stirbst, dann kriegst du ein geschnitztes Holzmaterl.“ Das macht mich schon froh.

Als 16-Jährige haben Sie Ihr Heimatdorf gen München verlassen.

Um Arzthelferin zu werden und Theater zu spielen. Ich war halt das irrlichternde Kind. Dann geht man halt in die Stadt. Bei mir in der Hauptschule haben die Mädchen das Gerücht gestreut, ich sei gar keine richtige Frau. So wie ich geredet und sonntags in der Kirche die Apostel-Briefe gelesen habe und dann noch die Einser, das war provokant. Die haben mich eingefangen und untersucht, ob ich eine Frau bin. Dann war ich eine Frau, und es war gut. Das war schwer für mich, meine Mutter war außer sich. Später in der Realschule ging es besser, wir waren eine reine Mädchenklasse, alle aus einem Holz, alle auf gleicher geistiger Ebene.

Ihr Stiefvater hat Ihnen das Leben auch nicht gerade leicht gemacht.

Ich ihm seines auch nicht. Ich hab’ ihm gesagt: „Du bist nicht mein Fleisch und Blut, also gehst du nicht mit mir zusammen zur Kommunion.“ Da setzte es die erste Ohrfeige. Der war so verletzt und verzweifelt. Der Pfarrer nahm mich dann beiseite und erklärte mir, dass er im KZ war, eigentlich ein toller Kerl war, weil er immer alles geteilt hat.

Stimmt es, dass er Ihre Katze vor Ihren Augen getötet hat?

Die war krank gewesen, und ich hatte sie trotz seines Verbotes im Haus versteckt. Da hat er sie beseitigt. So. Da war eine Grenze überschritten. Als ich mich gerade an ihn gewöhnt hatte, hat meine Mutter sich von ihm getrennt… Wissen Sie, was ich jetzt brauchen könnte?

Nein?

Ein Bad mit Natriumcarbonat und Magnesiumsulfat. Das entsäuert und bringt die Lebensgeister zurück.

Interview: Esther Kogelboom

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