zum Hauptinhalt

Metropolis: Symphonie der Großtat

Rettung nach Noten: Wie der Dirigent Frank Strobel half, das verstümmelte Meisterwerk "Metropolis" zu rekonstruieren.

Alles an „Metropolis“ ist Mythos – seine Entstehungsgeschichte, seine Handlung, seine Nachwirkung. Kein Wunder, denn den Film, an dem Fritz Lang 310 Tage und 60 Nächte drehte, der 36 000 Komparsen auf Trab hielt und die mächtigen Ufa-Studios an den Rand des Bankrotts führte, kennt niemand. Nach der Premiere am 10. Januar 1927 in Berlin dauerte es keine vier Monate, bis „Metropolis“ unterging: kleingeschnitten, verstümmelt, ein Torso. Erst am heutigen Tag wird das Monumentalwerk so wiederauferstehen, wie es sich sein Regisseur gedacht hatte. Eine Rettung, die niemand mehr für möglich hielt.

Frank Strobel ist seit 26 Jahren gefesselt von „Metropolis“. Es war das erste Stummfilmprojekt, das der Dirigent für sich entdeckte. Inzwischen gilt der Musiker international als einer der profiliertesten Taktgeber für den symphonischen Stummfilm. Seit 2000 ist Strobel, 43, künstlerischer Leiter der Europäischen Film-Philharmonie in Berlin, die weltweit Aufführungsmaterialien für Filmmusiken vertreibt und Filmmusikproduktionen und -aufführungen organisiert. Die nun entstandene „Metropolis“-Fassung ist die siebte, die er zum Klingen bringt.

Der Schlüssel zum wiederauferstandenen „Metropolis“ liegt in der Musik. Gottfried Huppertz hat sie geschrieben, eine gewaltige Partitur von über 700 Blatt Umfang, wie auch schon für Langs „Nibelungen“ gespickt mit unzähligen Leitmotiven und harmonischen Verflechtungen. Sie liegt in Originalumfang vor, während der Film selbst nur in Schnittvarianten bekannt war. In ihnen fehlt etwa ein Viertel von Langs Filmgestaltung – und mehr als das. Die Szenenfolge ist stark verändert, Figuren verschwanden, ganze Handlungsstränge sind gekappt. Bis im Sommer 2008 das argentinische Museo del Cine Kontakt zu seinen deutschen Kollegen aufnimmt und den Experten eine Sensation präsentiert. Auf einer 16-Millimeter-Sicherungskopie in rostigen Filmdosen befinden sich „Metropolis“-Szenen, die nach der Premiere verschwunden waren.

Wie fügen sich diese vom intensiven Abspielen verschlissenen Bilder in das, was in Jahrzehnten mühsamen Forschens von „Metropolis“ zusammengetragen wurde? Es ist die Musik, die die frappierende Antwort gibt. Der Klavierauszug weist 1024 sogenannte Synchronpunkte auf, die Klang und Bild miteinander verzahnen und beweist eindeutig: Die argentinische Kopie repräsentiert den verlorenen Uraufführungszustand von „Metropolis“. Noch bevor die Ufa den Film aus den Kinos zurückzog und radikal umschneiden ließ, kaufte der Filmverleiher Adolfo Z. Wilson eine Kopie, die 1928 in die argentinischen Kinos kam. Auch ihr fehlen einige Meter des empfindlichen Nitrofilms, die während hunderter Vorstellungen gerissen oder in Flammen aufgegangen sind. Aber das Geheimnis von „Metropolis“ gibt sie nun doch preis.

Und Strobel, der Dirigent, findet sich im Schneideraum wieder. Zusammen mit den Filmrestauratoren montiert er Szene für Szene konsequent auf die Musik. Danach wird der Gegentest gemacht: Schauen wir mal nach Argentinien, nennen das die Retter von „Metropolis“. Und siehe: Alles fügt sich. „Der Film ist jetzt durchgehend in guter Bewegung, und der Gedanke des Gesamtkunstwerks kann nachvollzogen werden“, sagt Strobel.

Tatsächlich prägt die Musik den Film schon vor seiner Entstehung. Fritz Lang, Thea von Harbou – seine damalige Frau und Autorin – und Komponist Gottfried Huppertz sind ein eingespieltes Team. 90 Prozent der Musik zu „Metropolis“ liegen bei Drehbeginn vor und werden oftmals am Set mit Klavier eingespielt – das rhythmische und gestische Rückgrat der laufenden Bilder. Jetzt kann es erstmals seit 1927 wieder zeigen, was es dramaturgisch zu leisten vermag.

Knapp 150 Mal hat Frank Strobel die Huppertz-Musik bislang dirigiert. „Ich kann sie immer noch hören“, versichert er lächelnd. Sein Interesse gilt den Komponisten, die nach der Jahrhundertwende bis an die harmonischen Grenzen gegangen sind, ohne sie zu überschreiten. Eine Musikergeneration, die auch den Sound von Hollywood geprägt hat. In dieser Tradition steht Huppertz’ Musik, deren musikdramaturgisches Verständnis Strobel modern findet. „Diese Musik kann viel mehr als illustrieren, sie erzählt die Handlung mit. Beim Dirigieren spüre ich: Der Film ist mein Partner.“

Zum Beispiel beim Showdown. Der jugendliche Held Freder und Rotwang, der diabolische Erfinder der Maschinenfrau, kämpfen um das Schicksal der Stadt. Eine Prügelszene auf Leben und Tod, hoch oben auf dem Dachfirst einer gotischen Kathedrale. Unten verfolgen die Arbeiter den Kampf. Plötzlich erkennt Fredersen, der Chef von Metropolis: Mein Sohn ist ja dort oben. Das akustische Kampfgetümmel erstirbt, Schock liegt in der Musik und bleibt dort, auch wenn es optisch munter mit dem Kampf weitergeht. Der Zuschauer sieht nun durch die Augen des bangenden Vaters – ein musikalischer Perspektivwechsel, der dem wiedererstandenen „Metropolis“ auch seine emotionale Tiefe zurückgibt.

Druckfrisch liegen die neu eingerichteten „Metropolis“-Stimmen auf den Pulten des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin. Knapp zweieinhalb Stunden Musik müssen flugs geprobt und sekundengenau mit dem Film eingetaktet werden: eine koordinatorische Großtat für Musiker und Dirigent. „Großes Bild und live spielendes Orchester ergeben etwas ganz starkes Drittes“, davon ist Strobel überzeugt. „Metropolis“ wird ihn auch nach der Uraufführung noch beschäftigen. Die asiatische Premiere in Hongkong ist schon gebucht, beinahe täglich kommen neue Anfragen hinzu. „Ich habe die Partitur aber so eingerichtet, dass sie auch anderen Dirigenten gut aufführen können und ich ,Metropolis‘ nicht immer selber machen muss“, versichert Strobel.

ZUR PERSON

Frank Strobel, 43, hat seit 1983 bereits 180 Aufführungen von Metropolis begleitet – anfangs am Klavier, später mit Orchestern.

Bei der Weltpremiere der rekonstruierten Originalfassung im Friedrichstadtpalast dirigiert er heute ab 20.15 Uhr das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Die Aufführung wird live auf das Brandenburger Tor projiziert und bei Arte übertragen. Im Anschluss (23.10 Uhr) zeigt der Sender die Doku „Reise nach Metropolis“.

Im Museum für Film und Fernsehen ist noch bis zum 25. April die Ausstellung „The Complete Metropolis“ über die Entstehung, Verstümmelung und Rettung von Fritz Langs Stummfilmklassiker zu sehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false