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Moderner Western: Rache ist sauer

Eine Frau sieht rot: Neil Jordans „Die Fremde in dir“ jagt die Bösen in New York. Und stellt die Frage nach dem Unterschied zwischen den Farbtönen Creme und Vanille.

Es sei cremefarben, sagt Erica in ihr Mobiltelefon, in der Hand hält sie einen Bogen Papier. Oh nein, unterbricht die Verkäuferin, das sei doch Vanille. Mit diesem Wortwechsel in Neil Jordans „Die Fremde in mir“ kann Sorglosigkeit ganz neu bemessen werden: Wie häufig denken Sie darüber nach, ob ein Farbton eher Creme oder Vanille ist?

Arg viele Fragen sind im Leben der Erica Bain (Jodie Foster) nicht mehr offen: Sie lebt in ihrem geliebten New York, hat eine eigene Radiosendung, und das Papier, über dessen Farbe die Frauen sprechen, ist für die Einladungen zur Hochzeit mit David, und der ist ein richtig Guter. Spielt Gitarre, liebt Ericas Hund und würde Erica am liebsten vom Fleck weg heiraten, ohne den creme-vanillefarbenen Firlefanz, wie er ihr bei einem Parkspaziergang erklärt. Kurz darauf wird das Paar überfallen. David wird ermordet, der Hund verschwindet, und Erica kauft sich eine Waffe und richtet sie fortan auf die Bösen von New York.

Amerika ist das Land, in dem Kopfgeldjäger auf flüchtige Verbrecher angesetzt werden, das Internet Auskunft über die Wohnorte von Sexualstraftätern gibt und das Recht auf Waffenbesitz verteidigt wird. Amerika ist das Land der Western, und einen solchen hat Jodie Foster nun produziert und gleich selbst darin die Hauptrolle gespielt. „Wie weit würdest du gehen, wenn du alles verloren hast?“, fragt das Filmplakat – mit einer psychologischen Stoßrichtung, die dem Film freilich fehlt. Denn er ist keine Charakterstudie der zivilisatorischen Degeneration eines Menschen; er regt noch nicht einmal zur Empathie mit der Hauptfigur an, dazu ist die Kamera zu unruhig: Als Erica das erste Mal nach dem Überfall die Wohnung verlassen will, erfasst sie schon im Hausflur Panik. Aber statt konsequent ihre Perspektive auf die Umgebung zu wählen, springt die Kamera von der Rücken- in die Vorderansicht Ericas und von Wand zu Wand – ohne jede innere Fokussierung, durch die der Flur auch für den Zuschauer zum dunklen Schreckensschacht werden könnte.

Sie habe keinen Film produziert, der Selbstjustiz verherrliche, betont Jodie Foster in Interviews. Und doch heißt er im Original „The Brave One“, zu Deutsch: die Mutige. Das ist nur eine der vielen Unentschiedenheiten; „Die Fremde in dir“ erzählt, wie Erica westerntauglich beschließt, Probleme lieber selbst zu regeln als auf den Staat zu warten, bedient aber zugleich das intellektuelle Lager, indem er sie dabei Emily Dickinson und D. H. Lawrence zitieren lässt. Auch visuell bietet der Film wenig, hat weder die Bilderkraft eines Rape-Revenge-Movies wie „Die Frau mit der 45er Magnum“ von Abel Ferrara noch den Mut zur ästhetischen Stilisierung von Gewalt wie Quentin Tarantinos „Kill Bill“.

Wie weit man gehen würde, wenn man alles verliert: Das ist durchaus eine Frage, aus der Filmstoffe sind. Auf der Schneide zwischen Opfersein und Täterwerden können brillante, verstörende Geschichten entstehen. „Die Fremde in dir“ setzt lieber auf den Unterschied zwischen Creme und Vanille.

In 23 Berliner Kinos; OV im Cinestar Sony-Center, OmU im Odeon

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