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Neuer Film mit Johnny Depp: Public Enemies: Eine Frage des Stils

Geburtsstunde der Rasterfahndung: der todschicke Gangsterfilm „Public Enemies“ mit Johnny Depp.

Die Arbeitslosigkeit steigt, aber die Banken melden schon wieder Milliardengewinne. Einer wie John Dillinger hat da gerade noch gefehlt: ein Mann des Volkes, der eben jene Banken ausraubt, die das Geld des kleinen Steuerzahlers verzocken. Und der die Bonzen vorführt, die Politik-Darsteller, die vors Mikrofon treten und die Krise zu meistern versprechen. Einen wie John Dillinger lieben die Leute.

Wir schreiben das Jahr 1933. Die Große Depression war eine große Zeit für Gangster – und ist großer Kinostoff bis heute. Kein Wunder, dass Michael Mann, der in „Heat“ einen der rasantesten Banküberfälle der Filmgeschichte choreografiert hat, nun den schnellsten Bankräuber (1 Minute, 40 Sekunden!) aus der goldenen Ära seiner Zunft auferstehen lässt.

John Dillinger und seine Chicago-Gang überfielen serienweise Banken im Mittleren Westen, sie brachen aus Hochsicherheitsgefängnissen aus, führten das frisch gegründete FBI an der Nase herum, hatten die schärfsten Waffen und die schönsten Mädchen und schrieben Henry Ford einen Brief, um sich für den Ford V8 als rasantes Fluchtauto zu bedanken.

„Public Enemies“ feiert vor allem eins: die Coolness. Da passt es, dass Johnny Depp den Staatsfeind Nummer eins spielt und der aalglatte Christian Bale dessen von Edgar J. Hoover eingesetzten Verfolger, den ebenso legendären FBIAgenten Melvin Purvis (der als Vorlage für die Comic-Figur Dick Tracy diente).

Alles, einfach alles, ist durchgestylt: die Anzüge, die Sonnenbrillen, die Körper, die Sprüche, die Waffen, die Filmzitate, der Jazz (Billie Holiday, Diana Krall). Die Oldtimer, an denen die Gangster einhändig hängen, mit ihren Tommy-Guns im Anschlag. Hutkrempen, die die Augen verschatten. Die Undurchdringlichkeit von Dillingers Lächeln. Der aseptische Sexappeal von Marion Cotillard als seiner Geliebten. Der Hyperrealismus der digitalen Kameras, die brillanten Farben, die abgezirkelten Reißschwenks, der metallische Klang der Schießeisen, die harten Helldunkel-Kontraste.

„Public Enemies“ poliert die Versatzstücke des Genres auf Hochglanz und fetischisiert die Erotik von blitzendem Chrom sowie das Design marmorgefliester Geldpaläste. Dillinger setzt auf Überrumpelungstaktik, Michael Mann tut es ihm gleich: jedes Bild ein Hinterhalt, ein Coup. Aber der Thrill des Unvorhersehbaren belebt das Geschehen nicht. „Public Enemies“ ist totes, todschickes Kino. Robert de Niro und Al Pacino lieferten sich in „Heat“ als ebenfalls coole Typen ein mörderisches Duell, schlugen sich jedoch gleichzeitig mit Eheproblemen herum, mit amourösen Schwächen oder einer zahnspangentragenden Stieftochter. „Heat“ war Psycho, „Public Enemies“ ist Pop: kein heißer, sondern ein kalter Krieg.

Schade um den verschenkten Stoff, um die Aktualität eines Volkshelden in Finanzkrisenzeiten und den Einblick in die Geburtsstunde der modernen Verbrechensbekämpfung: war against crime als Vorläufer des Kriegs gegen den Terror. Indiana zum Beispiel hatte damals ganze 27 Polizeibeamte, grenzüberschreitende Maßnahmen kannte man nicht – das Drehbuch basiert auf Bryan Burroughs Buch „America’s Greatest Crime Wave and the Birth of the FBI“. Schade auch um die Reminiszenz an eine Zeit, in der das Verbrechen noch ein Gesicht hatte und keine anonym mafiöse Struktur. John Dillinger, sagt Michael Mann, „explodierte förmlich in die Alltagslandschaft hinein“. Manns Film implodiert. Nach zehn Monaten auf der Flucht wird Dillinger im Juli 1934 vor dem Biograph Theatre in Chicago erschossen, nachdem er sein Alter Ego Clark Gable in „Manhattan Melodrama“ auf der Leinwand bewundert hat: ein aufgemotzter Zeitlupen-Showdown.

Nur in einer einzigen gespenstischen Szene gelingt der Versuch, der Legende mittelst permanenter Ikonisierung beizukommen. Auf dem Höhepunkt der Jagd spaziert Dillinger unbemerkt ins FBI-Büro und betrachtet in aller Seelenruhe seine eigenen Fahndungsfotos. Einen Moment lang ist er ganz bei sich: der Mythos, der sich selbst bespiegelt.

In 21 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center, OmU im Babylon Kreuzberg

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