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© Wild Bunch

Paranormal Activity: Grusel vor dem Gläubiger

Wohnzimmerproduktion mit 7000-fachem Gewinn: Weshalb der Horrorfilm "Paranormal Activity" in den USA so erfolgreich ist.

Diese Zahlen sind beinahe überirdisch. Die Produktionskosten lagen angeblich bei 15 000 Dollar. An den amerikanischen Kinokassen hat der Film schon jetzt 104 Millionen Dollar eingespielt. Das entspricht beinahe dem 7000-fachen seines Budgets. Dabei kommt die internationale Auswertungslawine gerade erst ins Rollen. Der Film heißt „Paranormal Activity“, und wer abergläubisch ist, wird sagen: Der Titel passt – da muss Übersinnliches im Spiel sein.

Alle anderen geraten hingegen ins Grübeln. Auch wenn Horrorfilme wegen ihrer niedrigen Produktionskosten, kaum vorhandenen Star-Gagen und der verlässlichen Kundschaft zu den profitabelsten Genres zählen, hat es diese Dimensionen seit dem Sensationserfolg von „The Blair Witch Project“ (1999) nicht mehr gegeben. Anders als beim Vorgänger erklärt sich die Anziehungskraft jedoch weder aus origineller Ästhetik noch aus dem Nervenkitzel. Aber woher dann der Erfolg?

Eine Ursache ist das ungewöhnliche Marketing. Der israelisch-amerikanische Regisseur Oren Peli – ein ehemaliger Videospiel-Designer – drehte den Film vor zwei Jahren mit einer Digitalkamera in seinem Haus in San Diego. Er handelt von einem jungen Paar namens Katie und Micah, das sich im eigenen Heim von einem Dämon bedroht fühlt. Um zu dokumentieren, was sich während ihres Schlafs abspielt, stellen sie Videokameras auf. Türen bewegen sich. Im Treppenhaus rumpelt es. Am Boden finden sich Fußabdrücke. Drehzeit des Films: sieben Tage. Geschnitten: am eigenen Rechner. Ein Home-Movie. Buchstäblich. Anfangs sorgte der Film auf Festivals für Erstaunen und kursierte dann als Geheimtipp in Hollywood. Da kam das Paramount-Studio, das den Film in den USA verleiht, auf eine Idee: Über die Internetseite Eventful.com sollten Zuschauer den Film einfordern können. Kämen genügend Stimmen zusammen, würde der Film in ihrer Stadt gezeigt. Auf diese Weise werden normalerweise Musikgruppen vermarktet.

Der Verleih startete den Film Ende September in dreizehn College-Städten, in denen eine hohe Dichte an jungen Horrorfans zu erwarten ist. Über Mundpropaganda und Twitter-Nachrichten animiert, forderten immer mehr Konsumenten den Film für ihre Stadt ein. Mitte Oktober schließlich kam „Paranormal Activity“ landesweit heraus – und kletterte auf Platz eins. Über den Film wurde also nicht erst an der Kinokasse abgestimmt, sondern online. So haben Festival-Überraschungserfolge, Branchengerüchte und ein geschicktes Marketing – das dann doch zehn Millionen Dollar kostete – ein Ereignis kreiert, an dem kaum mehr jemand vorbeikomm.

Aber reicht das, um den immensen Erfolg zu begründen? So könnte man etwa fragen, ob der Plot nicht auch eine wabernde Furcht der amerikanischen Mittelschicht auf den Punkt bringt: die Angst vor der Immobilienkrise, die Angst davor, von den Gläubigerdämonen in den eigenen vier Wänden heimgesucht zu werden. Der Film trifft auf ein Land, in dem Zwangsvollstreckungen den amerikanischen Traum vom Eigenheim zerstören. Verdient nicht Micah, in dessen Haus der Dämon einzudringen versucht, sein Geld als day trader, also als Spekulant? Leben Micah und Katie nicht genau jenes Suburbia-Leben, das von der Subprime-Hypothekenkrise betroffen ist? Sieht man Genrefilme als sinnstiftende Erzählungen, die aktuelle Probleme artikulieren und zu bewältigen helfen, so hat „Paranormal Activity“ für viele amerikanische Zuschauer gewiss eine lindernde Wirkung. Das Horrorpublikum spielt die Realängste im Reich des Imaginären durch – und bekommt sie dadurch halbwegs unter Kontrolle.

Vielleicht kommt im Erfolg des Films aber auch das Verlangen des Publikums nach einfachen Schauergeschichten zum Ausdrcuk, seit es von den Gewaltorgien der „Saw“-Filme und 3-D-Computereffektexzessen à la „My Bloody Valentine“ übersättigt ist. An den Wendepunkten in der Geschichte des US-Horrorfilms stehen seit jeher Low-Budget-Filme: von „The Night of the Living Dead“ (1968) und „The Texas Chainsaw Massacre“ (1974) über „The Evil Dead“ (1981) bis zum „Blair Witch Project“.

Zwar machte eine Berliner Preview vergangene Woche klar: Der harmlose Spuk von „Paranormal Activity“ passt nicht in diese Ahnenreihe. Das junge Publikum verlachte den Film. Dennoch könnte sich der Erfolg für Genrefans noch als Segen erweisen. Ein Mitproduzent von „Paranormal Activity“ sagte der „LA Times“: „Der Film beweist, wie man mit weniger mehr macht.“ Das klingt wie ein Versprechen.

In 15 Berliner Kinos, OV im Babylon Kreuzberg und im Cinestar Sony-Center

Julian Hanich

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