zum Hauptinhalt
fallen

© Novapool

Rezension: Brüchig, die Welt

Gemeinsam durch die Nacht, mit Rilke im Gepäck. Mit "Fallen“ ist der Österreicherin Barbara Albert ein wunderbarer Stimmungsfilm gelungen, der fünf Schulfreundinnen zurück in ihre Vergangenheit führt.

Fallen? Das ist für später. Nein, sie schweben eher, wie sie da am Hang stehen, Freundinnen zu fünft am Morgen nach der durchwachten Nacht, sie schweben und legen sich nur vornüber in eine mächtig aufwirbelnde Luft. Und wie sie, das Haar im Wind, auf einmal die Arme ausbreiten und Schmetterling oder Engel spielen – da ist es, als ob sie gleich zu fliegen begännen.

Ein paar Sekunden nur, unerklärte, und doch ein Bild für immer. Oder ein paar Stunden früher, die fünf fahren in zwei Autos durch die Nacht, und eine spricht plötzlich: "Wem willst du klagen, Herz? Immer gemiedener / ringt sich dein Weg durch die unbegreiflichen / Menschen. Mehr noch vergebens vielleicht, / da er die Richtung behält, / Richtung zur Zukunft behält, / zu der verlorenen …“ Rilke-Zeilen: Sie sind nicht verloren gegangen in ihr, seit sie darüber „maturiert“ hat, so nennt man in Österreich das Abitur; nun tauchen sie wieder auf, frisch und fremd, weil die Clique seit Stunden zusammen ist, zum ersten Mal seit 14 Jahren. Und schon erinnert sich eine andere an das Ende des Gedichts: "Schönster, in meiner unsichtbaren / Landschaft, der du mich kenntlicher / machtest Engeln, unsichtbaren.“

Engelinnen: Was bringt sie zusammen? Kein Klassentreffen, sondern ein Tod. Der Physiklehrer, den sie alle nur Michael nennen, ist mit 50 gestorben, und da ist nachmittags die Trauerfeier und am anderen Morgen der gemeinsame Friedhofsbesuch und zwischendurch eine ziemlich wild ausartende Hochzeit auf dem Land. Zufällig gerät das Quintett da hinein: die Arbeitsamtsangestellte (Ursula Strauss) mit ihrem nicht ganz kleinen Alkoholproblem, die im fernen Deutschland zum Star aufgestiegene Schauspielerin (Kathrin Resetarits), die frühere und auch jetzige Außenseiterin (Gabriela Hegedüs), die kluge, melancholische Lehrerin (Birgit Minichmayr) – und die Hochschwangere (Nina Proll): Mit dem Typen, der heute den Bräutigam gibt, hat sie damals "was g’habt“, oder war es die erste große Liebe?

Ein Ensemblefilm. Gruppenbild mit großem Kind (eine hat ihre kühle Tochter mitgebracht, Zaungast aus einer vernünftigeren Generation), und immer wieder gerinnen die Szenen zu körnigen Handy-Fotos, Standbildern der Zukunft (der noch nicht verlorenen), der Vergangenheit (der sehr vergangenen), des Anderswoseins. Ein Stimmungsfilm auch, den die Österreicherin Barbara Albert wie aus einer Wirklichkeit herübergezaubert hat, und unmerklich stellt die einstige Klassenkameradinnenwärme sich ein.

Hier eine Beichte in anderthalb Sätzen, da ein anlaufloses Vertrauen: Schon enthüllen die erst so solide hingestellten erwachsenen Leben jene Brüchigkeit, die ihnen innewohnt – mit Zufallskindern von Zufallsmännern, mit ungeliebten Zufallsjobs und Zufallsarbeitslosigkeiten, aus denen man vielleicht wieder herauskommt oder auch nicht. Und dazwischen ein Tod. Sein Tod. Langsam deckt sich da etwas auf, intim und verletzlich und doch geborgen. Die Schulzeit: Sollte sie die einzige Zeit sein, in der die Illusion gilt, dass wir in einer gemeinsamen Welt leben?

Vorsichtig öffnet "Fallen“ dem Zuschauer Räume ins Eigene, schweift und schwebt und sträubt sich bald sachte gegen seine pure Nacherzählbarkeit. Was passiert denn schon? Und geht es nicht ohnehin eher darum, das Rilke’sche „Unsichtbare“ zu zeigen? Es sind die Gesten, die tastenden Kurzsätze („Wie geht’s dir eigentlich in echt so?“), eine Grundzärtlichkeit auch für die so unverwechselbaren Figuren, aus denen der Film seine Kraft holt und leise wächst und wächst. Ekstase neben Trauer, Peinlichkeit neben Pein, ein gemeinsamer Augenblick des Loslassens und dann eine Trennung wie ein Riss: Immer agiert die Kamera dabei als sechste unsichtbare Freundin der Gruppe, ihr nie zu nah und nie fern. Und irgendwann trödelt sich das aus in ein Nachher oder zwei, nicht ohne Spuren.

Das Rilke-Gedicht heißt „Klage“, und es hat auch eine Mitte, die in diesem Film um ein paar halbwegs gereifte Thirtysomethings unerwähnt bleibt. „Früher. Klagtest? Was wars? Eine gefallene / Beere des Jubels, unreife! / Jetzt aber bricht mir mein Jubelbaum, / bricht mir im Sturme mein langsamer / Jubelbaum.“ Fallen: nur eine Beere einstweilen, aufzufangen in der offenen Hand.

Central Hackescher Markt, fsk am Oranienplatz, Neue Kant Kinos

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false