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''Saint Jacques'': Punktgenau

Lange Wege: "Saint Jacques ... Pilgern auf Französisch“ ist das sehr unterhaltsame, seltsam punktgenaue und dabei traum(a)tiefe Protokoll einer Fußwanderung wider Willen.

Auch wer „Drei Männer und ein Baby“ in nicht ganz so guter Erinnerung hat, sollte vor Coline Serreau nicht mutwillig die Augen schließen. Das war vor zwanzig Jahren, die drei Babysitter sind längst verjährt. Und die Französin hatte ganze zwanzig Jahre Zeit, über ihren Film nachzudenken. Nun gut, achtzehn, denn „Saint Jacques ... Pilgern auf Französisch“ ist jetzt auch schon zwei Jahre alt. Trotzdem, eine lange Zeit. Ein langer Weg.

Coline Serreau versteht inzwischen einiges von langen Wegen – und von deren Kurzweil. Die längsten Wege sind naturgemäß die Pilgerwege. Zum Beispiel ist es von Claras, Claudes und Pierres Heimatstadt aus gesehen ziemlich weit nach Santiago de Compostela. Clara ist Lehrerin und kennt auch sonst die Schattenseiten des Lebens. Pierre, ihr Bruder, ist Geschäftsmann und verheiratet mit seinem Handy sowie einer Trinkerin. Für Claude hingegen muss die Zeit irgendwann um 1968 stehengeblieben sein. Er hat bis heute glatt vergessen zu arbeiten und vertraut auf zwei Dinge, in denen sein Leben gründet: dass andere ihm etwas borgen und dass die Frauen ihn lieben.

Seltsam, haben die drei wohl schon oft gedacht, dass sie dieselbe Mutter haben. An ihre Mutter denken die Geschwister jetzt öfter, nicht nur, weil sie gerade gestorben ist, sondern auch, weil sie ihren Kindern nichts vererben will. Es sei denn, die drei gehen gemeinsam wandern. Nach Santiago de Compostela, über die Pyrenäen! Wochenlang zu Fuß. Clara zusammen mit Claude? Pierre gemeinsam mit Clara? Claude gemeinsam mit Pierre? Denselben Weg und dann noch gleichzeitig? Ausgeschlossen!

„Saint Jacques ...“ ist das sehr unterhaltsame, seltsam punktgenaue und dabei traum(a)tiefe Protokoll einer Fußwanderung wider Willen. Je unwegsamer das Gelände, desto feiner der Witz.

Einer trage des anderen Last? Das geht bei einer Gemeinschaftswanderung zwar nur bedingt, aber je länger sie laufen, desto leichter scheint ihnen die Bürde ihres Lebens und der Gegenwart der anderen. Auch gehen die Geschwister (Muriel Robin, Artus de Penguern, Jean-Pierre Daroussin) nicht allein, sondern mit anderen Pilgern. Etwa mit zwei arabischen Jungen, die sich die Tour eigentlich gar nicht leisten können. Hätte die Mutter des einen nicht ihr letztes Geld gegeben – wofür, wenn nicht für eine Pilgerfahrt? Allah wird sie belohnen. Allah, der noch gar nicht erschaffen war, als Jakobus in Santiago begraben wurde. Letztlich – das ist die tiefste Weisheit einer jeden Wallfahrt – ist es ohnehin egal, zu wem man pilgert: Der Weg ist das Ziel! Kerstin Decker

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