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Kino: Schlachtfeld der Lügen

Robert Redfords Afghanistan-Film „Von Löwen und Lämmern“ – und eine Diskussion mit Joschka Fischer in Berlin

Was für ein Schlagabtausch. Meryl Streep, die Journalistin, liefert sich ein Wortgefecht mit Tom Cruise, dem Senator. Der zeigt auf der Landkarte neue, gefährliche Allianzen zwischen Iran und Irak. Interessant, meint die Journalistin – 1300 Jahre Krieg zwischen Sunniten und Schiiten vergessen bloß wegen der Aussicht, mehr Amerikaner töten zu können. Jedes seiner Argumente zerlegt sie in Windeseile. Gegen die Taliban soll nun mit kleinen Einheiten gekämpft werden, eine neue Militärstrategie in Afghanistan? Ach ja, erinnert sie sich. In Vietnam gab es auch kleine Platoons, als Köder für den Feind. Die Folge: 54 000 tote US-Soldaten.

Was für eine Diskussion. Vor der Premiere von Robert Redfords Afghanistan-Film „Von Löwen und Lämmern“ läuft Tom Cruise einmal mehr über den roten Teppich und bedankt sich bei den Berlinern für seine tolle Zeit in der Stadt. Hinterher diskutiert Regisseur Redford auf dem Podium des Kino International mit Joschka Fischer und dem Historiker Heinrich August Winkler.

Der 70-jährige Redford – bei dem noch im Alter die Unbekümmertheit seines Sundance-Kid aufblitzt und ebenso die Unerschrockenheit seines Watergate-Journalisten in „All the President’s Men“ – , der ehemalige deutsche Außenminister und der Geschichtsprofessor sind sich einig darin, dass das alleinige Setzen auf die militärische Lösung in Irak und Afghanistan und vor allem das Fehlen einer politischen Lösung fatal ist. Aber es gibt Unterschiede in ihrer Kritik, bezeichnende Nuancen.

So erwähnt Streep im Film die zwei Millionen toten Vietnamesen mit keinem Wort. So geht Joschka Fischer seinerseits scharf ins Gericht mit dem strategischen Kalkül der US-Politiker, die als Kriegsgrund für Irak erst die Massenvernichtungswaffen angaben und dann die Demokratisierung. „Sie haben die Waffen gegen die Demokratisierungs-Bestrebungen ausgetauscht, als die erste Begründung nicht mehr funktionierte.“ Robert Redford dagegen ist überzeugt, dass die Politiker an die Existenz von Massenvernichtungswaffen glaubten. „Aber sie waren inkompetent. Und als sie merkten, dass es eine Lüge war, haben sie einfach das Thema gewechselt.“ Gleichzeitig betont Redford, dass er sich betrogen fühlt, seit er nach dem Vertrauensvorschuss für Bushs Regierung infolge des 9/11-Schocks den Niedergang der amerikanischen Werte erlebte. Da bricht etwas auf im transatlantischen Hin und Her. An diesem Abend in Berlin fährt die europäische US-Kritik der inneramerikanischen Debatte in die Parade – und umgekehrt.

Freiheit der Rede, Macht der Worte, Kampf um Deutungshoheit und das Recht auf den Dissens. Davon handelt Redfords Film, der am 8. November weltweit in die Kinos kommt. „Lions for Lambs“ – der Originaltitel verneigt sich vor dem Löwenmut einfacher Soldaten, die für die Schafsköpfe von Schreibtischstrategen ihr Leben riskieren – ist ein Actionfilm der Dialoge, Eine Lehrstunde über Politik, Krieg, Medien, Angst und die amerikanische Jugend. Mit dem gleichen Personal (Politiker, Journalist, Professor), wie es auf dem Berliner Podium versammelt ist.

Drei Handlungsstränge sind ineinander verwoben, in der Echtzeit einer einzigen Morgenstunde. Der ehrgeizige republikanische Senator Irving bittet die an Watergate gestählte TV-Enthüllungsjournalistin zum Vier-Augen-Interview in sein Washingtoner Büro. Das ist der Deal: Sie kann seine Afghanistan-Idee exklusiv veröffentlichen, er erhofft sich von der PR bessere Chancen für die Präsidentschaftskandidatur. Gleichzeitig müssen zwei blutjunge Soldaten im afghanischen Winter Irvings Strategie in die sinnlose Tat umsetzen. Halb erfroren, mit zerschossenen Gliedmaßen, erinnern sie sich im Schneegebirge an ihr Studium: zwei Ghetto-Kids, ein Schwarzer und ein Mexikaner, die sich vor ihrem Armee-Einsatz zum College hochgeschuftet haben und dort ihre schnöseligen weißen Kommilitonen zum Engagement agitierten.

Der dritte Schauplatz: jene Uni in Kalifornien. Ein linker Politikprofessor (Robert Redford) versucht eine Sprechstunde lang, genau so einen smarten Schnösel-Studenten aus seiner eskapistischen Lethargie wachzurütteln, indem er von den Ghetto-Kids erzählt. Noch ein Wortgefecht, noch ein Krieg der Argumente. Tu was für dich, deine Zukunft und dein Land, lautet Redfords unmissverständliches Fazit.

Die Korruptheit der Medien, Zynismus der Mächtigen, die politische Verantwortung des Einzelnen und die sozialen Verwerfungen des amerikanischen Bildungssystems: eine filmische Selbstprüfung der Nation. Nach dem Script von Matthew Carnahan, der zuvor das Drehbuch für den Saudi-Arabien-Thriller „Operation: Kingdom“ schrieb, hat Redford eine komplexe Versuchsanordnung arrangiert. Deren Herausforderungen sind seine Bilder jedoch leider nicht gewachsen.

Dabei fängt es aufregend an. Großartig, wie Tom Cruise mit wenigen Gesten den cleveren Erfolgstypen markiert: die Akkuratesse, mit der der Senator sein Sakko aufhängt, der mahlende Kiefer, der verbindliche, nur ein einziges Mal seine Menschenverachtung entlarvende Blick. Großartig auch, wie Meryl Streep ihre blitzgescheite Figur mit der Kampfesmüdigkeit einer Washington-Veteranin ausstattet, die um das Versagen der US-Medien weiß, aber noch aus der Deckung der Erschöpfung heraus schweres Faktengeschütz auffährt.

Warum nur lässt der Film alle Engagierten scheitern? Verlorene Illusion des Polit- und Umweltaktivisten Redford? Oder Bekenntnis eines liberalen Americana-Melodramatikers? Die Enthüllungsjournalistin jedenfalls verweigert ihre Indienstnahme durch den Senator, drückt sich aber auch feige vor jeder publizistischen Offensive. Und die jungen Soldaten sterben in Afghanistan den aufrechten Heldentod zu gehörig orgelndem Soundtrack. Ein abgeschmacktes Propagandabild, das der sensibilisierte Zuschauer – der Film thematisiert ja die Mechanismen von Medienpropaganda – verärgert zur Kenntnis nimmt.

Einziger Hoffnungsträger bleibt der weiße Student aus besserem Hause, eben jener, den Redford selbst in die Mangel genommen hatte. Ein eitles Finale, dessen Appell zum Dienst am Vaterland selbst George W. gefallen dürfte.

„Von Löwen und Lämmern“ stellt starke Fragen und gibt schwache Antworten; die konventionelle Ästhetik der Mainstream-Bilder straft die wortreiche Verteidigung der Abweichung Lügen. Der Heldentod der Soldaten, erklärt Redford auf Nachfrage des moderierenden „Spiegel“-Auslandschefs Gerhard Spörl (Veranstalter des Abends sind der Filmverleih und „Der Spiegel“), entspricht ihrer Überzeugung, kämpfen zu müssen. Die Dialoglastigkeit habe einen emotionalen Schub erfordert, deshalb die tragische Überhöhung. Im Krieg werden die Kids als Kanonenfutter verheizt, der Film opfert sie für dramaturgische Zwecke.

Kino als Powerpoint-Präsentation für Patrioten? Mag sein, das ist die besserwisserische europäische Sicht. Eine, die dem anderen Amerika – siehe Michael Moore, siehe Al Gore – nur ungern zugesteht, dass es mit den gleichen appellativ didaktischen Mitteln agitiert wie der Konservatismus. Und die der „luxurierenden“ Kritik am Krieg gegen den Terror entspricht, die sich Europa nur wegen der Sicherheitsgarantie der USA erlauben kann, wie Joschka Fischer zu bedenken gibt.

Die Reihe der Antiterrorkriegsfilme ist lang geworden, von Spielbergs „München“ über Michael Winterbottoms „Guantanamo“ bis zu Brian De Palmas Medienfarce „Redacted“ und Paul Haggis’ Kriegsheimkehrer-Psychodrama „In the Valley of Elah“. Redfords Film (den Tom Cruise koproduziert hat) unterscheidet sich von seinen Vorgängern insofern, als er sich Afghanistan vornimmt, den im Vergleich zu Irak weniger umstrittenen Krieg. Und immerhin rückt weniger die übliche Gewalt- und Moralfrage in den Fokus als die Gefahren einer verselbständigten Exekutive und die Krise der amerikanischen Demokratie.

„Eine Nation“, sagt Heinrich August Winkler mit Blick auf die Deutschen und die Nazizeit ebenso wie mit Blick auf Vietnam, „lernt zwar aus ihren Lektionen, aber sie verlernt sie auch wieder.“ Redford bringt seine heitere Skepsis gegenüber dem Veränderungspotenzial von Kunst zum Ausdruck. Fischer artikuliert seine tiefe Sorge um den Weltfrieden: So sehr es gegen den Film spricht, dass die Debatte über ihn differenzierter verläuft als der Plot, so erhellend bleibt doch die Widersprüchlichkeit seiner bitteren, aber auch biederen Lektion. „Von Löwen und Lämmern“ propagiert in der 90. Minute den Aktionismus, die Tat. In den 89 Minuten davor setzt er auf die Schlagkraft des Worts. Was davon wird länger im Gedächtnis bleiben?

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