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„Sieben Mulden und eine Leiche“: Sohn gegen tote Mutter

Der Tod der Eltern ist ein sensibles Thema. Was aber, wenn die tote Mutter ein Messie, das Verhältnis zu ihr schon lange zerrütet war? Der Schweizer Regisseur Thomas Haemmerli beantwortet die Frage auf ungewöhnliche Art - extrem pietätlos und schonungslos ironisch.

Was klebt da auf dem Küchenboden? Mutter. Beziehungsweise ein paar ihrer sterblichen Überreste. Dank einer effizienten Fußbodenheizung wird es Tage dauern, sie von den Fliesen zu trennen. Traurige Ironie: Sich von etwas zu trennen, zählte schon im Leben nicht zu ihren Vorlieben. Mutter war ein Messie.

Die ersten Bilder von „Sieben Mulden und eine Leiche“ sind nur mit viel Humor zu ertragen – wie das Erbe, das die Verstorbene ihren Söhnen hinterlässt. Als der Schweizer Regisseur und Journalist Thomas Haemmerli die Wohnung der Verblichenen betritt, ist das Entsetzen so groß wie die Materialberge, die sich dort angehäuft haben. Vier Wochen verbringen er und sein Bruder damit, sich durch Mutters Hinterlassenschaften zu graben und dabei viel eigenen Seelenmüll freizulegen. Haemmerlis Kamera funktioniert als Schutzschild: Sie wappnet ihn für diese Zumutung – auf distanzierte und analytisch gebrochene Weise.

Mama war ein Messie - 40 Katzen sind noch im Ferienhaus

Wenig Trauer, viel Arbeit: Der Film rüttelt an den Grundfesten westlicher Ethik und an den Vorstellungen davon, wie man mit dem Tod der Eltern umzugehen habe. Haemmerli unterläuft sie konsequent. Ohne Pathos dokumentiert der Sohn, der schon als Internatsschüler mit den Eltern gebrochen hat, die nervenzerrende Ordnungssuche und rekonstruiert mit der mütterlichen Biografie ein Stück Zeitgeschichte. Schonungslos ironisch zersetzt er nicht nur die Ideologie von der heilen Familienwelt, sondern zwingt den Zuschauer, dem eigenen klebrigen Betroffenheitsreflex nachzuspüren.

Ja, es ist zum Totlachen, wie sich die Brüder durch Müll und Chaos kämpfen, durch Scheidungsprotokolle, brieflich fixierte Dramen, Fotos und Super-8-Aufnahmen; äußerst komisch auch, wie sie das Material in schnellen Schnitten arrangieren und sogar in Mutters griechischem Feriendomizil noch auch auf etwa vierzig hungrige Katzen treffen. Und schließlich, wie sie sich im Mittelmeer einen letzten Kampf mit der widerspenstigen Urne liefern.

Höchst unbequem das Thema, extrem pietätlos seine Umsetzung: Beides zusammen ist großartig. So vereint sich, nach sieben gefüllten Mulden – so heißen die offenen Baumüllcontainer – und einer fachgerecht entsorgten Leiche, das Gefühl der Befreiung aufs Schönste mit der Gewissheit, bestens unterhalten worden zu sein.

Hackesche Höfe, Kulturbrauerei und Moviemento

Kerstin Roose

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